BEETHOVENS WEITERE ENTWICKLUNG
(1784 - 1787)


Im vorangegangenen Abschnitt lenkten wir unser Augenmerk auf Beethovens wachsendes Selbstvertrauen als Musiker, während wir auch auf den nächsten Schritt vorausblickten, den er zur weiteren finanziellen Unterstützung seiner Familie unternehmen würde.  Während Beethovens Bonner Jugendfreund, Franz Gerhard Wegeler*, in seinen Biographischen Notizen darauf hinweist, dass er Beethoven kennenlernte, als dieser zwölf Jahre alt war, stimmt die neuere Beethovenforschung darin überein, dass diese erste Begegnung etwa um 1784 stattgefunden haben musste.

*Als Sohn eines armen elsässischen Zuwanderers nach Bonn nahm Wegeler seinen Gymnasialbesuch und sein sich daran anschliessendes Medizinstudium sehr ernst.  Später fand er seinen Wirkungskreis als geachteter Arzt.  Sein ernsthaftes Streben mag es wohl gewesen sein, das die Witwe Helene von Breuning in der Weise beeindruckte, dass sie ihn als geeigneten freundschaftlichen Umgang für ihre eigenen Kinder in ihrem Haus willkommen hieß.

Frau von Breuning suchte auch einen Klavierlehrer für zwei ihrer Kinder, Eleonore und Lenz.  Diese Gelegenheit öffneten die Türen dieses großzügigen Haushalts für den jungen Hofmusiker Ludwig van Beethoven, den Wegeler dort einführte.  Durch den Klavierunterricht, den er Eleonore und Lenz erteilte, konnte sich Beethoven das für die weitere Unterstützung seiner Familie so nötige Geld verdienen.  Er freundete sich jedoch bald mit allen breuning'schen Kindern an und war neben Wegeler immer ein gern gesehener Hausgast.   Die entspannte Atmosphäre dieser sympathischen Familie half ihm, seine gesellschaftlichen Fähigkeiten in einem sehr angemessenen Rahmen zu entwickeln.  Frau von Breuning und ihr Schwager, ein Schulmeister, der nach dem Tod ihres Gatten, des Hofrats von Breuning, in ihr Haus zog, um sich um die Ausbildung ihrer Kinder zu kümmern, versuchten, diese zur Liebe zur Literatur, zur Kunst und zur Musik heranzuziehen.  In diesem Kreis kam Beethoven wohl zum erstenmal mit den Werken der zeitgenössischen deutschen Literatur, wie mit den Werken Klopstocks, Lessings, Wielands, Herders, Goethes und Schillers in Berührung, aber auch mit Werken der Weltliteratur wie den Dramen Shakespeares, den Werken Plutarchs und anderer klassischer Dichter. Der positive Einfluss, den Frau von Breuning auf Beethoven ausübte, würde im Laufe der Zeit führ ihn immer wichtiger werden.  Während Beethoven sich in ihrem Haushalt als seinem 'zweiten Zuhause' sehr wohlfühlte und dort manchen Abend als Gast verbrachte und bis spät in die Nacht zur Freude aller auf dem Klavier improvisierte, brach aber ab und zu auch sein angeborener Eigensinn hervor.  Die von Breuning'schen Kinder wussten dann nicht, wie sie sich ihm gegenüber verhalten sollten.  Frau von Breuning bat sie dann, auf ihn Rücksicht zu nehmen, denn er habe wohl wieder einmal seinen Raptus.  Beethoven begann auch, den Kindern anderer wohlhabender Bonner Familien Klavierunterricht zu erteilen.    Während dies für ihn natürlich eine willkommene zusätzliche Einnahme bedeutete, können wir uns auch vorstellen, dass er sich des Unterschieds zwischen seinem eigenen, bescheidenen Elternhaus und den Verhältnissen, die er in diesen wohlhabenden Familien vorfand, sehr peinlich bewusst war und dass ihn, den feurigen, jedoch auch introvertierten jungen Musiker, dieser Unterschied sehr oft beschämte, konnte er doch dieser eleganten Lebensweise 'nur' sein Talent als Musiker entgegensetzen.  Oft weigerte er sich sogar, zu solchen Unterrichtsstunden zu gehen.  Einmal bestand Frau von Breuning jedoch darauf und sah ihm nach, wie er das Haus verliess und sich auf den Weg über den Marktplatz machte, um in einem gegenüberliegenden Haus zu unterrichten.  Er kehrte jedoch bald zurück und beteuerte, dass er an diesem Tag nicht unterrichten könne.  Er versprach, am nächsten Tag doppelt so viele Unterrichststunden zu geben.

Während wir uns nun ein lebhaftes Bild von Beethovens damaligem gesellschaftlichen Umgang machen konnten, sollten wir auch nicht versäumen, unser Augenmerk auf einen Vergleich des lebhaften Interesses der von Breunings an Literatur, Kunst und Musik mit dem allgemeinen kulturellen Leben Bonns lenken, in dem der Einfluss des neuen Kurfürsten Maximilian Franz in allen Bereichen zu spüren war.

Wir sollten hier vielleicht auch noch einflechten, dass Max Franz, als Sohn Kaiserin Maria Theresias, bereits in seiner Kindheit mit Mozart bekannt wurde, als dieser mit seinen Eltern und seiner Schwester Nannerl den Wiener Hof zum erstenmal besuchte.  Der elegante Anzug, in dem Wolfgang Amadeus auf einem Gemälde zu sehen ist, gehörte Max Franz, bevor er ihm von Maria Theresia geschenkt wurde.

Im Erwachsenenleben wurde aus Max Franz ein glühender Mozartverehrer, der ihn vielleicht sogar nach Bonn geholt hätte, hätte nicht der Bonner Hof int Kapellmeister Lucchesi bereits einen tüchtigen Musikdirektor gehabt, der nicht ohne weiteres aus seinen Diensten entlassen werden konnte. Ausserdem begann Max Franz seine Regentschaft damit, dass er zuerst die zerrütteten Finanzen des Bonner Hofes durch Einsparungen wieder in Ordnung brachte.  Danach jedoch wandte er sich der Förderung der Bildung und Wissenschaft in seinem kleinen Staat zu.  Er führte in ihm ähnliche Reformen ein wie sein älterer Bruder, Kaiser Joseph II es nach dem Tod seiner Mutter Maria Theresia (im November 1780) in Wien tat.   Bald spürten die Bonner, dass ihrem neuen Herrscher mehr an ihrer Bildung und an Kultur und Wissenschaft gelegen war als an der unbedingten Aufrechterhaltung aller überlieferten kirchlichen Bräuche.

Während der Theatersaisonen von 1784/85, 1785/86 und 1786/87 brachte Max Franz verschiedene Opernensembles nach Bonn.  Dadurch war Beethoven in der Lage, mit den Werken Glucks (wie z.B. seinen Opern Alceste  und Orpheus), aber auch mit der Oper seines späteren 'italienischen' Lehrers Salieri, Armida, bekannt zu werden.  Kapellmeister Lucchesi brachte von seiner Reise einen neuen Assistenten mit, Anton Reicha aus Bömen.  Dadurch wurde der Wirkungskreis Gottlob Christian Neefes wieder auf seine Tätigkeit als Organist beschränkt.  Dies ließ Beethoven neben seinen Pflichten als Vertreter Neefes wieder viel Zeit zur Komposition und für den gesellschaftlichen Verkehr.  In bezug auf Beethovens wachsendes Selbstvertrauen als Musiker hat Wegeler folgendes zu berichten:

"In der katholischen Kirche werden während dreier Tage in der Karwoche die Lamentationen des Propheten Jeremias gesungen.  Diese bestehen bekanntlich aus kleinen Sätzen von 4-6 Zeilen und wurden, jedoch nach einem gewissen Rhythmus, als Chorale vorgetragen.  Der Gesang bestand nämlich aus 4 aufeinanderfolgenden Tönen: z.B. c, d, e, f, wobei immer auf der Terz mehrere Worte, ja ganze Sätze abgesungen wurden, die dann einige Noten  am Schluss in den Grundton zurückführten.  Der Säger wird, da die Orgel an diesen drei Tagen schweigen muss, nur von einem Klavierspieler frei begleitet.  Als einst dieses Amt unserm Beethoven oblag, fragte er den sehr tonfesten Sänger Heller, ob er ihm erlauben wolle, ihn herauszuwerfen, und benutzte die wohl etwas zu schnell gegebene Berechtigung so, daß derselbe durch Ausweichungen im Akkompagnement, ungeachtet Beethoven den vom Sänger anzuhaltenden Ton mit dem kleinen Finger fortdauernd oben anschlug, so aus dem Tone kam, dass er den Schlussfall nicht mehr finden konnte.  Der noch lebende damalige Musikdirektor der Kurfürstlichen Kapelle und erste Violinspieler Vater Ries erzählt jetzt noch ausführlich, wie sehr der dabei gegenwärtige Kapellmeister Lucchesi durch Beethovens Spiel überrascht gewesen sei.  Heller verklagte in der ersten Aufwallung des Zorns Beethoven bei dem Kurfürsten, welcher, obgleich diesem jungen, geistreichen, mitunter selbst mitwilligen Fürsten die Sache gefiel, dennoch eine einfachere Begleitung empfahl" Ley: 33 - 34).

 



Scherenschnitt
Ludwig van Beethovens
im Alter von 16 Jahren

Wir wissen nicht mit Sicherheit, wer Beethovens Wienreise des Frühjahrs 1787 finanzierte, dürfen aber annehmen, dass sie vom Kurfürsten genehmigt wurde und dass Beethoven sogar einige Emfpehlungsschreiben vom Bonner Hof in seiner Tasche hatte. Biographische Aufzeichnungen weisen darauf hin, dass Beethoven Anfang April 1787 in Wien eintraf.  Da wir jedoch keine Augenzeugenberichte seines dortigen Aufenthalts haben, müssen wir alle anekdotenhaften Überlieferungen mit sehr viel Skepsis betrachten.  Ihnen zufolge soll Beethoven vor Mozart improvisiert haben und auch einige Unterrichtsstunden von ihm erhalten haben

Mozartforscher weisen allgemein darauf hin, dass es in den biographischen Unterlagen zu Mozarts Leben keinen Hinweis auf einen solchen Unterricht gebe**. Die Tradition der Anekdoten dieser Begegnung spricht davon, dass Beethoven vor Mozart zuerst ein gut eingeübtes Stück auf dem Klavier spielte, dafür von ihm kühl und höflich gelobt wurde und dass Beethoven ihn deshalb bat, ob er zu einem von ihm gegebenen Thema improvisieren dürfe.  Dabei habe er Mozart durch sein Spiel in solches Erstaunen versetzt, dass Mozart ins Nebenzimmer gerannt sein soll und zu seinen dort anwesenden Freunden gesagt haben soll "auf den gebt acht, der wird noch von sich reden machen."  Tatsache ist jedoch, dass Mozart kaum zwei Wochen lang in Wien bleiben konnte, da ihn ein Brief aus Bonn erreichte, der ihn über den ernsten Gesundheitszustand seiner Mutter in Kenntnis setzte und er sich daraufhin umgehend auf seine Rückreise machte.

[**Hierzu sollten wir vielleicht auch Barry Cooper's folgenden Kommentar bedenken:

" . . . Ries says that Beethoven regretted never hearing Mozart play, but Czerny claims that Beethoven did hear him and that his playing was 'choppy', with no legato. Most likely, then, Beethoven heard Mozart's playing, perhaps during a theory lesson, but never attended a performance as such" (Cooper: 22; Cooper schreibt hier von Ferdinand Ries' Bericht über Beethovens Bedauern, Mozart nie Klavier spielen gehört zu haben, während laut Czernys Bericht Beethoven Mozart hörte und berichtete, dass sein Spiel 'zerhackt', also ohne Legato, gewesen sei, und dass dies wohl darauf schliessen lasse, dass Beethoven Mozart nie öffentlich spielen hörte, sondern vielleicht in einer privaten, theoretischen Musiklektion).]

Beethoven kehrte über München und Augsburg so schnell wie möglich nach Bonn zurück.  Dort traf er den Klavierbauer Stein und auch einen Anwalt namens von Schaden.  Er traf seine Mutter zwar noch lebend, aber todkrank an.  Sie starb im Juli 1787.

Der erste Brief, der uns von Beethoven überliefert ist, ist jener an Herrn von Schaden in Augsburg vom Oktober 1787, in dem sich Beethoven entschuldigt, dass er ihm das ihm vorgestreckte Reisegeld noch nicht zurückerstattet hatte.  Er beschreibt darin auch seine Rückreise und den Gemütszustand, in den ihn der Tod seiner Mutter versetzt hatte.  Einige Stellen daraus sollten wir uns hier betrachten:

"Ich muß Ihnen bekennen: daß seitdem ich von Augsburg hinweg bin, meine Freude und mit ihr meine Gesundheit begann aufzuhören; . . .  Ich traf meine Mutter noch an, aber in den elendesten Gesundheitsumständen; sie hatte Schwindsucht und starb endlich ungefähr vor sieben Wochen, nach vielen überstandenen Schmerzen und Leiden.  Sie war mir immer eine so gute liebenswürdige Mutter, meine beste Freundin; o! wer war glücklicher als ich, da ich noch den süßen Namen Mutter aussprechen konnte, und er wurde gehört, und wem kann ich ihn jetzt sagen?  Den stummen ihr ähnlichen Bildern, die mir meine Einbildungskraft zusammensetzt?..." (Schmidt, Beethoven=Briefe:1).

Betrachten wir uns doch einige der eindringlichsten Worte dieser Sätze:   Freude, Schmerzen, Leiden, Bilder, die mir meine Einbildungskraft zusammensetzt...

...beschreiben diese Worte nicht auch im Wesentlichen Beethovens Leben?