BEETHOVEN ALS HOFMUSIKLEHRLING
(1781 - 1784)


Etwa ab 1781, als Beethoven zehn bis elf Jahre alt war, übernahm  der neue Bonner Hoforganist,  Christian Gottlob Neefe*, der den Posten des Flamen van den Eeden übernommen hatte, seine Klavier- und Orgelausbildung.



Christian Gottlob Neefe

*Wie der amerikanische Historiker Alexander Wheelock Thayer in seiner Biografie, The Life of Beethoven, erklärt, kam dieser Musiker 1779 mit der Grossmann-und- Helmuth'schen Theatergruppe nach Bonn.  1748 in Chemnitz geboren, wandte er sich vom Jurastudium ab und dem Selbststudium der Musik zu.  Dazu griff er auf die theoretischen Schriften C.P.E. Bachs und Marpurgs zurück, erhielt aber auch on Johann Adam Hiller, dem Direktor des Leipziger Gewandhauskonzerthauses, Unterstützung.  Dieser vermittelte ihm 1777 sogar eine Stellung in Dresden als Musikdirektor der Seyler'schen Theatertruppe. Obwohl Neefe mehrere Operetten komponierte, hielt er sich selbst nicht für voll ausgebildet im Kontrapunkt.  In Bonn war er auch als örtlicher Vorsitzender der aus Bayern stammenden Illuminati aktiv.  Nach deren freiwilliger Auflösung im Jahr 1784 beteiligte er sich auch aktiv am Leben der zahmeren Bonner Lesegesellschaft.

Bereits während des Münsteraner Sommeraufenthalts des Kurfürsten im Jahr 1782 vertraute er dem jungen Beethoven seine Pflichten als Hoforganist an, die Thayer zufolge "no sinecure" (keine Kleinigkeit) waren.

Neefe vertraute Beethoven nicht nur darin, dass er ihn in dieser Kapazität gut vertreten würde, sondern er erkannte auch das Genie seines Schülers.  Da er öfters Musikartikel für Cramers Magazin der Musik schrieb, ist es nicht verwunderlich, dass er unter dem Datum des 2. März 1783 auch über Beethoven berichtete:

"Louis van Beethoven, Sohn des vorgenannten Tenoristen, ein Knabe von 11 Jahren, und von vielversprechendem Talent.  Er spielt sehr fertig und mit Kraft das Klavier, liest sehr gut vom Blatt, und um alles in einem zu sagen:  Er spielt größtenteil das Wohltemperierte Klavier von Sebastian Bach, welches ihm Herr Neefe unter die Hände gegeben.  Wer diese Sammlung von Präludien und Fugen durch alle Töne kennt (die man wohl als das non plus ultra unserer Kunst bezeichnen kann), wird wissen, was das bedeute.  Herr Neefe hat ihm auch, sofern es seine übrigen Geschäfte erlaubten, einige Anleitung zum Generalbaß gegeben.  Jetzt übt er ihn in der Komposition, und zu seiner Ermunterung hat er 9 Variationen von ihm fürs Klavier über einen Marsch in Mannheim stechen lassen.  Dieses junge Genie verdiente Unterstützung, daß er reisen könnte.  Er würde gewiß ein zweiter Wolfgang Amadeus Mozart werden, wenn er so fortschritte, wie er angefangen" (Ley: 26).

Dieser Artikel zeigt uns, wie Neefe das Talent seines Schülers im Einzelnen förderte und wie er Beethoven ausbildete, und zwar seit Beginn seiner "Lehrzeit" um 1780/81 bis zum Frühjahr 1783.

In bezug auf die "9 Variationen von ihm fürs Klavier über einen Marsch" (von Dressler), den die Beethoven 1782 geschrieben hatte, schreibt Barry Cooper wie folgt:

"It may seem unreasonable to expect anything that is not derivative in the work of an eleven-year-old, yet several signs of truly Beethovenian originality are evident. First is the high level of technique demanded. . . . If this really was Beethoven's first composition, it is an extremely impressive beginning. . . ." (Cooper: 7; Cooper schreibt hier, dass vielleicht in der Komposition eines Elfjährigen nichts zu erwarten ist, das nicht auf Vorbilder zurückgeht, jedoch seien in diesem Werk auch einige Anzeichen von Beethovens Originalität zu erkennen, und zwar unter anderem die technische Ausarbeitung.  Auch vertritt er die Meinung, dass dies für Beethovens erste Komposition ein ausserordentlich eindrucksvoller Anfang sei).

Als Schwächen des Werks führt Cooper an, dass das Werk am nötigen Zusammenhang mangele, und ferner weist er darauf hin, dass, da dieser Marsch von Dressler ein Trauermarsch war, er dieses Material wohl als brauchbar erachtete, um seinem im Herbst 1781 verstorbenen Onkel Franz Rovantini ein musikalisches Denkmal zu setzen.  Möchten Sie sich gerne eine Midi-Datei dieses Werks anhören?

Beethovens neun Variationen auf einen Marsch von Dressler, WoO63

Aufgrund von Neefes Vertrauen in die Fähigkeiten des Zwölfjährigen sollte es uns nicht überraschen, dass Beethoven gegen Ende der Theatersaison von 1782/1783, als Kapellmeister Lucchesi auf Reisen war und Neefe dessen Pflichten übernehmen musste, als Cembalist (somit als Dirigent!) bei den Opern- und Singspielproben des Hoftheaters wirkte.  Dies gab Beethoven auch die Möglichkeit, seine ohneschin schon große Geschicklichkeit, vom Blatt zu lesen, noch weiter zu entwickeln.  Er war von April bis einschliesslich Juni 1783 als Cembalist tätig.

Mit dem Ende der Theatersaison und der Abreise des Kurfürten nach Münster im Juni 1783 endeten diese Pflichten, und Beethoven konnte sich wieder der Komposition widmen.  Im Zusatz zu einigen kleineren Kompositionsversuchen schrieb er auch jene ersten drei Klaviersonaten, die er dem Kurfürsten Maximilian Friedrich widmete und die im Oktober 1783 bei Bossler in Speyer erschienen.  In bezug auf diese Sonaten schreibt Cooper:

"These are full-sized, three-movement sonatas, and impressive by any standards; for a twelve-year-old they are astonishing. . . . The three sonatas are not without their weaknesses, chief of which is, once again, insufficient sense of continuity . . . " (Cooper: 10 and 11; Cooper schreibt hier, dass es sich bei diesen Sonaten um voll ausgearbeitete Klaviersonaten mit drei Sätzen handelt, und dass sie für einen Zwölfjährigen erstaunlich seien, jedoch auch noch etwas den nötigen Zusammenhang vermissen lassen).

Leider können wir Ihnen hier kein Hörbeispiel dieser Sonaten bieten, aber dafür können wir Ihnen ein Beispiel jener "kleineren Kompositionsversuche" bieten, nämlich das "Rondo für Pianoforte", WoO 48:

Beethovens C-Dur-Rondo für Pianoforte, WoO48

Hier sollten wir uns nun mit Beethovens Hollandreise befassen, die nicht, wie Thayer angenommen hatte, 1781 stattfand, sondern im Jahr 1783.  Zitieren wir dazu Cooper:

"By the end of 1783, Neefe's desire that Beethoven should travel had been fulfilled, but the journey to Holland was essentially a private one and there is no evidence that it was subsidized by the Elector. The circumstances surrounding the trip are related by Fischer.(14) Franz Rovantini had a sister, Anna Maria Magdalena, who was employed by a rich widow as a governess in Rotterdam. When Beethoven's mother informed her of Rovantini's death in 1781, she became anxious to visit his grave in Bonn, and eventually did so in autumn 1783. . . . A return visit by the Beethovens was arranged; Johann was unable to go, and so Beethoven went with his mother. During the journey down the Rhine, the weather was so cold that his mother reportedly held his feet in her lap to prevent frostbite. They stayed in Rotterdam for some time, and Beethoven played in several great houses there, astonishing people with his ability. He also performed on the piano at the Royal Court in The Hague, some ten miles away, on 23 November, and was paid 63 florins--far more than anyone else listed at the event. Nevertheless, he returned dissatisfied with the rewards, describing the Dutch as penny-pinchers and vowing not to go to the Netherlands again" (Cooper: 11;  Cooper schreibt hier, dass sich Neefes Wunsch für Beethoven, dass er reisen könne, im Herbst 1783 verwirklichte, jedoch nur in einer Privatreise.  Es gebe auch keine Beweise, dass der Kurfürst diese finanziert habe.  Der Bäcker Fischer habe in seinen Erinnerungen von dieser Reise berichtet, dass Franz Rovantinis Schwester, Anna Maria Madgalena, die in Rotterdam als Kindermädchen arbeitete und auf die Nachricht von Rovantinis Tod im Jahr 1781 durch ihre Kusine (Beethovens Mutter) endlich 1783 nach Bonn kam, um das Grab ihres Bruders zu besuchen.  Beethoven und seine Mutter begleiteten ihre Verwandte auf ihrer Rückreise nach Holland, da Johann van Beethoven unabkömmlich war.  Während dieser Rheinfahrt flussaufwärts sei es so kalt gewesen, dass Beethovens Mutter Ludwigs Füsse immer in ihrem Schoss hielt, um sie vor dem Erfrieren zu schützen.  Sie hielten sich dann einige Zeit in Rotterdam auf, und Beethoven spielte in einigen großen Häusern und erstaunte seine Hörer durch sein Talent.  Er spielte auch am königlichen Hof in Den Haag am 23. November und erhielt dafür eine Gage von 63 Gulden--mehr als alle anderen Konzertteilnehmer.  Trotzdem sei Beethoven mit diesem Erfolg nicht zufrieden gewesen und habe später oft geäussert, dass er nie mehr nach Holland zurückkehren werde, da die Holländer Geizhälse seien.  Cooper entnahm die Einzelheiten in bezug auf das Konzert in Den Haag aus einem Dokument des Hofs von Fürst Willem V von Oranien-Nassau in Den Haag vom 26. November 1783, das sich auf ein 'finanziertes Konzert' vom 23, November bezieht und als ersten Künstler 'Mons. Beethoven, forte-piano, 12 J[ahre] 63" anführte, und zwar aus "Letters to Beethoven and Other Correspondence", übersetzt und editiert von Theodore Albrecht, Band I: 1771-1812, University of Nebraska Press, in Zusammenarbeit mit der American Beethoven Society und dem Ira F. Brilliant Center for Beethoven Studies, San Jose, San Jose State University, 1996, Seite 3).

Die Theatersaison von 1783/1784 begann im Herbst recht hektisch, da Neefe immer noch Lucchesi vertreten musste und viele seiner eigenen Pflichten seinem Lehrling überließ.  Die übliche Zeit für eine solche Lehrzeit ohne Bezahlung für den Beruf des Hofmusikers (es sollte jedoch auch erwähnt werden, dass der Bonner Hof für Beethovens Unterhalt sorgte, da seine Familie dies finanziell nicht mehr leisten konnte) war etwa ein Jahr, aus denen nun für Beethoven  schon mindestens zwei geworden waren, und Beethovens Kenntnisse und Fähigkeiten müssen zu dieser Zeit bereits weit über dem gelegen haben, was von einem jungen Hofmusiker erwartet wurde.

Cooper argumentiert, dass Beethoven, vielleicht aufgrund seines Erfolges in Holland, und aufgrund des Vertrauens seines Lehrmeisters Neefe in seine Kenntnisse, im Februar 1784 ein Gesuch einreichte, um als Hofmusiker angestellt zu werden.

Während er sein Gesuch einreichte, erlebte Bonn eine grosse Rheinüberschwemmung.  Weitere Ereignisse verzögerten das Ende von Beethovens Lehrzeit:  Kurfürst Maximilian Friedrich starb am 15. April 1784, und sein Minister Belderbusch verstarb bald nach ihm.

Im Laufe des Jahres 1784 trat der neue Kurfürst, der Sohn Kaiserin Maria Theresias, Maximilian Franz, sein Bonner Amt an und verlangte einen Bericht über alle Hofbeamten- und Angestellten, einschliesslich der Hofmusiker, um zu sehen, wo Einsparungen erwirkt werden konnten.



Kurfürst Maximilian Franz

Der calvinistische Hoforganist Neefe schien ersetzbar.  Fürs erste wurde sein Gehalt gegen Ende des Jahres auf von 400 Gulden auf 200 Gulden herabgesetzt, und Ludwig van Beethoven, damals keine 14 Jahre alt, wurde als Hilfsorganist für ein Jahresgehalt von 150 Gulden eingestellt.  Die Angelegenheit wurde Anfang 1785 noch einmal überprüft, Neefes wirklicher Wert erkannt, und sein altes Gehalt wieder eingesetzt.  Beethovens Jahresgehalt wurde auf 100 Gulden festgelegt.  Von diesem Zeitpunkt an war Beethoven kein Lehrling mehr, sondern ein Mitverdiener der Familie, der jährlich halb so viel wie sein Vater verdiente (dieser erhielt ein Jahresgehalt von 200 Gulden).  Da sich Johann van Beethovens Stimme, nicht zuletzt aufgrund seiner wachsenden Trunksucht, stetig verschlechterte, würde sein Sohn sich bald noch nach weiteren Einkommensquellen umsehen müssen, um seiner Familie beizustehen.  Wir werden dies im nächsten Abschnitt diskutieren.