WEGE ZU GEORG FRIEDRICH HAENDEL
UND SEINEM MESSIAS
EINE MUSIKALISCHE REISE


(Portrait by Balthasar Denner, now in the NATIONAL GALLERY IN LONDON).


Wenn ich frueher in Deutschland Haendels Hallejuja aus seinem Messias hoerte, dachte ich mir oft, dass es eigentlich schade sei, dass Deutschland diesen Komponisten an England verlor. Als ich dann hier miterleben konnte, welch ein lebendiger Teil der englischsprachigen Kultur Haendels Musik geworden ist, nahm ich mir vor, auf meiner Reise in die Vergangenheit auf der Suche nach meinem vaeterlichen Wiener Erbe der klassischen Musik die Augen vor Querverbindungen zu anderen Groessen der klassischen Musik wie Haendel nicht zu verschliessen. Ich moechte Sie nun auf eine solche Reise in die Vergangenheit mitnehmen, um von den Querverbindungen her einen Zugang zur musikalischen Welt Haendels zu finden: Stellen Sie sich Beethovens Sterbelager im Wiener Schwarzspanierhaus im Dezember 1826 vor. Der langsam an Wassersucht Dahinsiechende, den viele als den groessten Tonpoeten bezeichnen, freute sich wie ein kleines Kind ueber ein Geschenk aus England. Seinem Londoner Bekannten Stumpff war es gelungen, ihm die Gesamtausgabe der Werke Haendels zu uebersenden. Er bat den dreizehnjaehrigen Sohn seines Freundes Stephan von Breuning, Gerhard von Breuning, diese Baende auf seinem Bett gegen die Wand zu aufzustapeln, von wo er dann Band fuer Band zur Hand nahm und die Partituren dieses Komponisten studierte, den er fuer den groessten hielt und vor dem er sein Knie beugen wollte. Vielleicht verehrte Beethoven Haendel nicht nur als Meister der Tonkunst, sondern auch aus seiner allgemeinen Verehrung fuer England heraus und aufgrund der Tatsache, dass Haendel durch sein Wirken in England sich den Respekt dieses reservierten Volkes verdiente: Sie machten ihn zu einem der Ihren und erlaubten, dass er in der Westminsterabtei beigesetzt wurde.

Im Dezember fast jeden Jahres koennen wir, ob wir nun Deutschkanadier oder Kanadier sind, gemeinsam der musikalischen Weihnachtstradition der englischsprachigen Welt froenen, wenn wir uns im Winspear-Centre Haendels Messias in englischer Sprache anhoeren. Haendels Weg in die Herzen der Englaender war nicht leicht. Im Anschluss an sein solides Studium unter dem Halleschen Organisten Zachau machte es sich der neue Organist des Halleschen Domes nicht lange dort gemuetlich. Es zog ihn in die Welt hinaus. Von seiner ersten Station in Hamburg als Violinist und gelegentlicher Cembalist des dortigen Opernorchesters zog er nach drei Jahren weiter nach Italien. Dort lernte er die groessten Komponisten seiner Zeit kennen: Scarlatti, Corelli und Vivaldi. Sie nannten ihn Il Caro Sassone und erfreuten sich an seinen ersten Opernerfolgen in Venedig. Nach drei Jahren uebernahm Haendel dann 1710 den Posten eines Kapellmeisters am Hofe des Kurfuersten Georg Ludwig von Hannover. Schon einige Monate spaeter war er auf dem Weg nach England, kehrte noch einmal nach Hannover zurueck und blieb 1712 endgueltig in London. Sein Ziel war es wohl, der italienischen Oper in England zu ihrem Siegeszug zu verhelfen. Dieser Kampf ums englische Publikum, mitunter sehr, zu anderen Zeiten jedoch weniger erfolgreich, zog sich ueber einige Jahrzehnte hin. 1714 starb Koenigin Anne, und Kurfuerst Georg aus Hannover wurde Koenig George I. von England. Haendel war der koeniglichen Familie als Cembalolehrer eng verbunden und bezog ein Jahresgehalt fuer seine Dienste.

Nach seinem jahrzehntelangen Kampf als Komponist und Imrpessario im Dienst der italienischen Oper war er im Februar 1741 reif fuer eine “Denkpause”. Er nahm die Einladung des Lord Lieutenant von Irland an und machte sich auf den Weg nach Dublin. Schon seit einiger Zeit hatte er sich in England darum bemueht, dem Volk naeherzukommen und nicht nur der Adelsschicht. Die spezifisch englische Kunstform des Oratoriums mit englischen Texten war dazu besonders geeignet. Einige seiner Werke dieser Gattung nahm er auch nach Dublin mit, wie z.B. Acis, Alexander’s Feast, Saul und Esther. Er schrieb auch an seinem neuen Oratorium, dem Messias. Nach seiner Ankunft in Dublin im November 1741 fuehrte er seine fertigen Oratorien erfolgreich auf. Die Kroenung war jedoch die Premiere des Messias am 23. April 1742. Die dafuer vorgesehene Halle an der Fishamble Street fasste normalerweise nur 600 Zuhoerer. Die Damen verzichteten jedoch auf ihre Reifunterroecke, die Krinolinen, und die Herren auf ihre Degen. Dadurch konnten 700 Zuschauer Platz finden. Die vorstellung ruehrte und begeisterte das Publikum und war ein grosser Erfolg. Den Reingewinn trat Haendel an drei Wohltaetigkeitsvereine ab. Im August 1742 kehrte er wieder nach England zurueck. Er begann nun auch, Oratorien im umfangreicheren Ausmass in London aufzufuehren. Er bewerkstelligte dies, indem er die Karten zur Subskription anbot. Nach Samson fuehrte er auch den Messias auf. Waehrend die Musik sofort Anklang fand, hatten gewisse religioese Kreise Bedenken, dass biblische Texte im Theater gesungen wurden. Bald legte sich jedoch auch dieser Widerstand, sodass Haendel den Messias fast alljaehrlich auffuehrte. Es war ihm noch vergoennt, einige weitere Oratorien zu komponieren und aufzufuehren. Aehnlich wie sein ebenfalls 1685 geborener Zeitgenosse, Johann Sebastian Bach, erblindete auch er in seinen letzten Jahren und konnte bis zu seinem Tod im Jahre 1759 nur unter grossen Schwierigkeiten weiterarbeiten.

Stanley Sadie schreibt, dass Haendel in seinem bekanntesten Oratorium, dem Messias, drei Musikstile zur Sprache kommen liess, den der englischen Kirchenmusik (besonders in den Choeren), die deutsche Passionstradition und den melodischen italienischen Stil (besonders in den umgearbeiteten Arien, die zuvor mit italienischem Text unterlegt waren), waehrend R.A. Streatfeilds Haendel-Biographie darauf hinweist, dass der Messias mehr als Kunstwerk zu betrachten sei und weniger als ein Werk geistlicher Musik. Steatfeild begruendet dies damit, dass die von Haendels Textdichter Jennens verfasste poetische Auslegung gewisser Bibeltexte, zusammen mit Haendels sich daran anschmiegender Musik, die Idee der menschlichen Erloesung, wie sie sich eben in der christlichen alt- und neutestamentarischen Tradition anbietet, uns im Ausdruck freier kuenstlerischer Aussage (im Gegensatz zu Bachs traditioneller lutherischer Kirchenmusik) naeherbringt. Er fuehrt als Beispiel die Auswahl der prophetischen alttestamentarischen Verheissungen zur Umschreibung der Geburt des Erloesers im ersten Teil und die mehr auf die geistige Auswirkung seines Wirkens, Leidens, Todes, und seiner Auferstehung sowie auf die Geschichte der geistigen Entwicklung der Christenheit bis zu seiner triumphalen Rueckkehr hinweisenden Texte im zweiten Teil an.

Wen soll es dann verwundern, dass die bereits von der Aufklaerung beeinflussten deutschen Musiker und Musikfreunde der zweiten Haelfte des 18. Jahrhunderts fuer eine Einfuehrung der Werke ihres beruehmten deutschen Auswanderers in der alten Heimat empfaenglich waren? Johann Adam Hiller, der ehemalige Foerderer Christian Gottlob Neefes, des Bonner Lehrers Beethovens, fuehrte den Messias in Berlin 1786 mit der Unterlegung italienischer Texte auf (ein erster Versuch der Einfuehrung des Messias in Deutschland war schon 1772 in Hamburg durch Haendels Freund, den englischen Komponisten Arne, in englischer Sprache unternommen worden). In den achtziger Jahren des 18. Jahrhunderts fand Haendels Musik in Wien ihren treuen Foerderer in dem “Dilletanten” Freiherr van Swieten, einem Foerderer Mozarts und Beethovens. Die Musiktradition spricht auch davon, dass van Swieten Mozart mit der musikalischen Neubearbeitung des Messias beauftragte. Der Kreis der “Querverbindungen” nach Wien schliesst sich damit harmonisch ab. Zu Anfang dieses Jahrhunderts entstanden dann in Goettingen und in Halle Haendel-Festspiele nach dem Vorbild der seit 1784 in England durchgefuehrten Haendel-Festspiele, und die Neue Haendelgesellschaft in Leipzig bemuehte sich ebenso lebhaft um die Pflege der Haendelschen Werke. Durch einen Besuch Deutschlands im Internet freute ich mich auch feststellen zu koennen, dass diese Aktivitaeten im wiedervereinigten Deutschland in vollem Gange sind.

DISCOVERING GEORGE FRIDERIC HANDEL
IN AN UNUSUAL WAY
A JOURNEY TO HIM AND BACK FROM THE
FIRST VIENNESE SCHOOL OF MUSIC

Whenever I heard Handel’s Halleluja from his famous oratorio Messiah in Germany, I often thought that it was a pity that Germany lost this great composer to England. When I, however, was able to discover what a lively part of the English-speaking culture Handel’s music had become, I promised myself, in my journey into the past of my paternal Viennese heritage of classical music, not to close my eyes from any cross-connections to other great composers of classical music, such as Handel. Now, I would like to take this opportunity to take you along on such a journey, in order to gain access to the world of Handel from such a cross-connection: For this, I have to persuade you to imagine Beethoven’s apartment and his deathbed at the Schwarzspanierhaus in Vienna during the month of December, 1826. While the man whom many consider the greatest tone poet was suffering from dropsy, he also had a rare occasion to be as delighted as a little child when a present arrived from England: his London acquaintance, a Mr. Stumpff who had originally emigrated there from Thuringia, was able to send him the complete edition of Handel’s works. Beethoven asked the thirteen-year-old son of his friend Stephan von Breuning, Gerhard von Breuning, to stack these volumes on his bed towards the wall, from where he took one after another in order to study the scores of the composer whom he considered the greatest and before whom he wanted to bend his knees. Perhaps, Beethoven revered Handel not only as a great composer, but also on the basis of his own love of and veneration for England and on the basis of the fact that, through Handel’s work in England, he was able to earn the respect of this nation who made him one of their own and who allowed for him to be buried in Westminster Abbey.

Every year in December, whether we are German-Canadians or Canadians, we can enjoy the musical Christmas tradition of the English-speaking world when we listen to this work at Winspear Centre. Handel’s way into the hearts of the English people was not an easy one. After his solid studies with the Halle organist Zachau, the new organist at the Halle cathedral did not want to get too comfortable in his new post. He wanted to see the world. From his first station in Hamburg as violinist and occasional cembalist of the Hamburg opera orchestra, he moved on to Italy after three years. There, he met the greatest composers of his time, Scarlatti, Corelli and Vivaldi. They called him Il Caro Sassone and were delighted with his first successes at opera in Venice. After three years, in 1710, Handel took the post of a Kapellmeister at the court of King George of Hanover. However, only after a few months, he was on his way to England, returned to Hanover once more and, from 1712 on, stayed permanently in England. It might have been his aim to put all of his efforts into making Italian opera a success in England. This struggle for the favor of the English audience was sometimes very successful, at other times, however, quite frustrating, and took up several decades. In 1714, Queen Anne of England died, and King George of Hanover became King George I of England. Handel remained in the service of the Royal family as a cembalo teacher and received an annual salary for it.

After his struggle of several decades to make a go of Italian opera in England, Handel was ready for a break. In February, 1741, he accepted the invitation of the Lord Lieutenant of Ireland and was on his way to Dublin later that year. Even before that, he had already begun attempts at reaching the English public rather than only the English nobility. The particular form of the English Oratorio with English texts seemed to lend itself to that purpose. He took some of his works of this genre along with him to Ireland, such as Acis, Alexander’s Feast, Saul and Esther. He also worked on his new oratorio, the Messiah. After his arrival in Dublin in November 1741, he staged his already completed oratorios there very successfully. The crowning touch, however, was the premiere of the Messiah on April 23, 1742. The concert hall on Fishamble Street that was set aside for that purpose, normally only held an audience of 600 people. In order for more people to fit in, all ladies forsaked their pettycoats, the so-called crinolines, and men did not wear their daggers. That way, 700 people could attend the concert. The music moved and enthused the audience, and the performance of the Messiah was a great success. Handel donated the revenue from this event to three charitable organizations. In August, 1742, he returned to England. There, he began to work more extensively on oratorios and on staging them in London. He managed this by inviting people to subscribe to the performances. After Samson, he also staged the Messiah. While the music of the work was an instant success, some religious circles had reservations against bible texts being sung in a public theater. These reservations, however, could eventually also be overcome, so that the Messiah was soon staged nearly every year. Handel was fortunate enough to still be able to compose various other oratorios. Not unlike his German contemporary, Johann Sebastian Bach, who was also born in 1685, Handel suffered from a severe loss of eyesight during his last years and could only continue to work with great difficulty until his death in 1759.

Stanley Sadie writes that Handel, in his most popular oratorio, the Messiah, combined three musical styles, namely that of English sacred music (particularly in the choruses), the German tradition of sacred music as it was expressed in the so-called Passions (such as the works of Bach), and the melodious Italian style (particularly in the re-arranged arias, which, before, had been sung with Italian texts), while R.A. Streatfeild’s Handel biography points out that the Messiah should not be considered so much as a work of sacred music, but rather as a work of art per se. Streatfeild bases this on his contention that the texts that the English writer Jennens had provided to Handel, in their poetic interpretation of bible texts, together with Handel’s music which smoothly adapted itself to them, far more represent the idea of redemption of humans as it has come down to us in the Christian old and new testamentary traditions, in a free artistic expression (as opposed to Bach’s more traditional Lutheran sacred music). As examples, Streatfeild mentions the selection of prophetic old-testamentary prophecies in order to describe the birth of the redeemer in the first part of the work and the texts in the second part that describe the spiritual impact of Jesus’ work, suffering, death and of his resurrection as well as the history of the spritual development of Christianity until his anticipaited triumphant return.

Who would, therefore, be surprised that German music lovers of the second half of the 18th century, who had also already been influenced by Enlightenment, were ready to introduce this kind of music of their famous German emigrant? Johann Adam Hiller, the former patron of Christian Gottlob Neefe, Beethoven’s Bonn music teacher, staged the Messiah in Berlin, albeit by using Italian texts, in 1786, while a first attempt at staging this work in Germany had already taken place in Hamburg, where Handel’s English friend, the composer Arne, had staged this work in English in Hamburg, in 1772. In the eighties of the 18th century, Handel’s music found its faithful friend and supporter in the dilletante, Baron Gottfried van Swieten, who was also a patron of both Mozart and Beetoven. Musical tradition also talks about Swieten’s having commissioned Mozart to re-arrange the Messiah. The rather wide circle of cross-connections to the First Viennese School of Music is thus harmoniously closed. At the beginning of this century, Handel festivals were founded and took place in Goettingen and Halle, much after the example of the Handel festivals that had been organized in England since 1784, and the New Handel Society in Leipzig was very actively engaged in the popularization in Germany of Handel’s works. A visit of Germany on the internet confirmed to me that these activities are once again in full swing in the re-united Germany.

Ingrid Schwaegermann