Bevor wir uns jedoch wieder der Leipziger kulturellen und Kaffehausszene
im allgemeinen zuwenden, sei es uns auch vergönnt, einen Blick in den Bach'schen Nachlass
zu werfen, der laut Schulze auch folgendes enthielt:
" . . . 1 große Coffeekanne (wert) 19 Taler 12 Groschen, 1 ditto kleinere
10 Taler 20 Groschen, 1 Coffee-Teller 5 Taler 12 Groschen; An Kupffer und Meßing...:
1 meßingene Coffee Kanne, 1 ditto kleinere, 1 dito noch kleinere . . . "
(Schulze: 40 - 41)
Zum Aufstieg der Leipziger Kaffehäuser vom vormaligen Stand der Lasterhöhlen
zum musikalischen Treffpunkt führt Schulze eine Mitteilung aus einer 1736 in Leipzig
erschienen Musikzeitschrift an, also zwei Jahre nach dem Entstehen der hier besprochenen
Kaffeekantate:
"Die beyden öffentlichen Musikalischen Concerten, oder Zusammenkünffte,
so hier wöchentlich gehalten werden, sind noch in beständigen Flor. Eines dirigiert der
Hochfürstlich Weißenfelsische Capellmeister und Musik-Director in der Thomas- und Nikelskirchen
allhier, Herr Johann Sebastian Bach, und wird außer der Messe alle Wochen einmahl,
auf dem Zimmermannischen Caffee-Hauß in der Cather-Strae Freytag abends von 8 bi 10 Uhr,
in der Messe aber die Woche zweymahl, Dienstags und Freytags zu eben der Zeit gehalten. Das andere
dirigirt Herr Johann Gottlieb Görner, Musikdirektor in der Pauliner Kirche und Organist
in der Thomaskirche . . . Die Glieder, so diese Musikalischen Concerten ausmachen,
bestehen mehrentheils aus den allhier Studirenden, und sind immer gute Musici unter
ihnen, so daß öffters, wie bekandt, nach der Zeit berühmte Virtuosen aus ihnen erwachsen.
Es ist jedem Musico vergönnet, sich in diesen Musikalischen Concerten öffentlich hören
zu lassen, und sind auch mehrentheils solche Zuhörer vorhanden, die den Werth eines
geschickten Musici zu beurtheilen wissen" (Schulze: 27).
Aus diesen Einzelheiten können wir entnehmen, dass der damals etwa
fünfzigjhrige Bach sowohl im eigenen Haushalt als auch in seiner nicht-Thomaner'schen
musikalischen Tätigkeit in Leipzig von der Kaffeekultur umgeben war. Im zehnten
Kapitel seiner neuen Bach-Biografie bietet Christoph Wolff einen guten Überblick über
Bachs Tätigkeit als Direktor des bald nach ihm benannten Collegium Musicum, das
er von etwa 1729 bis 1741, mit einigen Unterbrechungen, leitete. Als Laiin tue ich
wahrscheinlich sehr gut daran, Ihnen Wolffs direkten Kommentar zu dieser Tätigkeit
im Zusammenhang vorzustellen:
"Zweifellos stellte die Leitung des Collegiums eine größere
Verpflichtung dar. Bach war nun zusätzlich zu seinen ständigen und regelmäßigen Aufgaben in
der Kirchenmusik auch noch das ganze Jahr hindurch für die Organisation und Gestaltung
einer wöchentlichen Konzertreihe verantwortlich. Das Programm dieser sogenannten
"ordinairen Concerte", von den beiden Collegia der Stadt in gegenseitiger Abstimmung
dargeboten, verdichtete sich durch zusätzliche Auftritte während der dreimal jährlich
stattfindenden Handelsmessen (s. Tab. 10.2) noch weiter" (Wolff, deutsches Leseexemplar:
380).
Des weiteren führt Wolff in seiner Tabelle 10.2 genau die Aufführungszeiten
der "Ordinairen Concerte" auf, und daraus wird ersichtlich, dass Bachs Collegium Musicum in der Regel im Zimmermannschen
Kaffehaus in der Catharinenstraße oder im Zimmermannschen Kaffeegarten am Grimmschen Steinweg
auftrat, whrend Görners Collegium Musicum in der Regel im Richterschen Kaffeehaus in der Clostergasse
auftrat. Bachs Collegium trat im Winter jeden Freitag von 20-22 Uhr und zur Messezeit jeweils
dienstags und freitags von 20 - 22 Uhr im Zimmermannschen Kaffeehaus und im Sommer jeweils
mittwochs von 16 - 18 Uhr im Zimmermannschen Kaffeegarten auf, während Görners Collegium Musicum
jeweils donnerstags von 20 - 22 Uhr, und zur Messezeit auch noch jeweils montags und dienstags von
20 - 22 Uhr im Richterschen Kaffeehaus auftrat.
Auch in bezug auf die Werke Bachs, die dort sehr wahrscheinlich zur
Aufführung gelangten, bietet Wolffs Biografie zwei sehr hilfreiche Tabellen, deren Inhalt
ich hier wiederum sinngemäß wiederzugeben versuche.
Wolffs Tablle 10.4 befasst sich mit der "Instrumentalen Ensemblemusik
für die 'Ordinairen Concerte'" (Wolff, deutsches Leseexemplar: 386). Hierzu sei wegen deren
geringerer Relevanz für diese kleine Ausführung nur mitgeteilt, dass Wolff hier
drei Kategorien
von Instrumentalwerken, nämlich Sonaten (von BWV 1023, der Sonate in e-Moll für
Violine, Bc [von ihm mit Fragezeichen auf nach 1723 datiert] bis BWV 1031, der Sonate in Es-Dur
für Cembalo und Flöte,
deren früheste Abschrift er als auf 1746/49 datiert angibt; Konzerte mit BWV 1044, dem Concerto in a-Moll für Flöte, Violine,
Cembalo, Streicher, Bc, auf 1729-174 datiert, bis BWV 1062, dem Concerto in
c-Moll, für zwei Cembali und Streicher, BC, auf - 1736 datiert, und
Suiten von BWV 1066, der Suite in C-Dur für zwei Oboen, Fagott, Streicher,
Bc, auf - 1725 datiert bis BWV 1067, der Suite in h-Moll für Flöte,
Streicher, Bc, auf -1738/39 datiert, einteilt.
Hier dürfen wir uns nun auch gleich der für uns relevanten Werkgattung
zuwenden, den "Moralischen Kantaten" für die "Ordinairen Concerte", die Wolff in seiner
Tabelle 10.3 auflistet, und diese Tabelle möchte ich nun doch "sinngemäß"
vollständig zitieren:
BWV 204, Ich bin in mir vergnügt, datiert auf - 1726/27, eine Cantate
"Von der Vergnügsamkeit" (Text: Christian Friedrich Hunold), BWV 201, Geschwinde, geschwinde, ihr
wirbelnden Winde, auf 1729 datiert, ein Dramma per musica "Der Streit zwischen Phoebus und Pan"
(Text: Picander), BWV 216A, Erwählte Pleißen-Stadt, auf 1729 mit Fragezeichen datiert, "Apollo
und Merkur" [Über die Stadt der Gelehrsamkeit und des Handels], (Text: Christian Gottlob Meißner), und
BWV 211, Schweigt stille, plaudert nicht, auf - 1734 datiert, Dramma per musica "Über den Caffee"
(Text: Picander).
Nachdem wir nun Bachs Ausweitung seiner Leipziger Tätigkeiten vom
Amt des Thomaskantors zum Musikdirektor des nach ihm benannten Collegium Musicum
festgestellt haben, aber auch seine wohl weniger signifikante private und öffentliche "Einbindung"
in die Leipziger "Kaffeekultur", können wir uns dem Thema des Librettos zuwenden.
Hiezu berichtet Schulze zunächst, dass bereits 1703 der französische Komponist Bernier
eine Kantate mit dem Namen "Le Caffee" hatte drucken lassen, dass aber auch in
Deutschland Autoren wie der Weissenfelser Joahann Gottfried Krause einen Kantatentext mit dem
Titel "Lob des Coffee" 1716 in seinem "Ersten Bouquet Poetischer Blumen So wohl bey Freuden - als
Trauer-Fällen, In müßgen Neben-Stunden An dem anmuthigen Saalen-Strande Abgebrochen" aufnahm, und der Schlesier Daniel Stoppe 1728 den Text zu seiner Coffee-Cantate
drucken liess.
Wen wundert es da, dass auch Bachs eifriger Texlieferant Christian
Friedrich Henrici, genannt Picander, der Dichter des Texts der Matthäuspassion, just zur Zeit von deren sehr
wahrscheinlicher Uraufführung im Jahre 1727 bereits im folgenden Text das Thema "Kaffee"
aufgriff:
"hier ward vor wenigen Tagen
Ein Königlich Mandat ans Parlament geschlagen,
das hieß: Wir haben längst und leider wohl gespürt.
da bloß durch den Caffee sich mancher ruiniert.
Um diesem Unheil nun beizeiten vorzugehen,
soll niemand sich Caffee zu trinken unterstehen,
der König und sein Hof trinkt selben nur allein,
und andre sollen nicht dazu befuget sein.
Doch dann und wann wird man Permission ertheilen...
Drauf hörte man daselbst ein immerwährend Heulen;
ach! schrie das Weibesvolk, ach nehmt uns lieber Brod,
denn ohne den Cafee ist unser Leben todt.
Was wollen wir denn früh zum Morgenbrot genießen,
nun müssen wir die Zunft, Cafee zu trinken schließen;
wie öfters werden wir bey unsrer Einsamkeit
betrübt zurücke stehn; da war es gute Zeit,
da jene, die und ich vertraut zusammen kamen
und bey dem Lomber-Spiel ein Schälchen Kaffee nahmen.
Das alles aber brach doch nicht des Königs Sinn,
und kürzlich starb das Volk als wie die Fliegen hin.
Man trug, gleichwie zur Pest, so haufenweise zu Grabe
und nur das Weibesvolk nahm so erschchrecklich abe,
bis da man das Mandat zerrissen und zerstört,
so hat das Sterben in Frankreich aufgehört" (Schulze: 35 - 37).
Schulze beschreibt Picander als zwar schwächlich gebauten,
jedoch emsig "dichtenden" Gelegenheitspoeten, der sich zuerst als Privatlehrer
und Gelegenheitsdichter über Wasser hielt, ab 1727 aber das Amt eines Actuarius im Leipziger Ober-Post-
Amt bekleidete, dabei zum Ober-Post-Commissarius aufrückte, ihm jedoch " . . . Im Jahr
1740 . . . die Kreyss-Land-Steuer - wie auch die Stadt-Tranck-Steuer-Einnahme zu Leipzig und die Wein-Inspektion ertheilet"
(Schulze: 33) worden sei.
Aus obigem Text geht bereits hervor, daß sich Picander in bezug auf
seine "Kaffee-Poesie" auf die Koffeinabhängigkeit des weiblichen Geschlechts
konzentrierte. Dieser Tenor beherschte dann auch den Text seiner "Kaffeekantate" am Ende des dritten Teils seiner
"Ernst- Scherzhafften und Satyrischen Gedichte" von 1732, von dem man Schulzes Bericht
zufolge nicht genau weiß, ob diese Ausgabe ein Wiederdruck eines bereits früher entstandenen Texts war und ob er vielleicht schon von
einem anderen Komponisten vertont wurde. Auch sei nicht bekannt, was Bach dann 1734 zur
Komposition seiner Kantate bewog--ein Gelegenheitsauftrag, ein Wunsch seiner Freunder, oder gar
eine "besser
komponierte" Antwort auf einen vorherigen Versuch.
Stellen wir doch zunächst die drei darin agierenden Teilnehmer vor, nämlich
den Erzähler, den Vater namens Schlendrian und seine Tochter Liesgen. Lassen Sie uns hier den Text in Abschnitten
direkt aus Picanders Origialtext (aus: Picander, Ernst-Schertzhaffte und Satyrische
Gedichte, Bd. 3, Leipzig 1732 - Universitätsbibliothek Leipzig) wiedergeben,