Nietzsche und Beethoven
Auf den Spuren von Beethovens Beschäftigung mit Literatur und Philosophie




 



Beethovens "Heiligenstädter Testament"

"Geduld, so heißt es, sie muß ich nun zur Führerin wählen: ich habe es. Dauernd, hoffe ich, soll mein Entschluß sein, auszuharren, bis es den unerbittlichen Parzen gefällt, den Faden zu brechen. Vielleicht gehts besser, vielleicht nicht: ich bin gefaßt. Schon in meinem 28. Jahre gezwungen, Philosoph zu werden, es ist nicht leicht, für den Künstler schwerer als für irgend jemand. . . . "


Beethoven schrieb diese Sätze in seinem "Heiligenstädter Testament" im Oktober 1802. Nach ihnen hat er zumindest versucht, in seiner tatsächlichen "Lebensmitte"--wenn wir bedenken, dass er 56 Jahre alt wurde und diese Worte eigentlich in seinem dreissigsten Jahr schrieb--"Philosoph zu werden", und das offentsichtlich aufgrund seines Gehörverlusts.

Wir mögen uns hier vielleicht fragen, welche Literatur ihm dabei half.   In seinem Brief vom Juni 1801 an seinen Freund Franz Gerhard Wegeler gibt uns Beethoven einen Hinweis darauf: "Ich habe schon oft den Schöpfer und mein Dasein verflucht; Plutarch hat mich zu der Resignation geführt" (Schmidt, Beethoven=Briefe: 20).

Beethovens Aussage lässt also darauf schließen, dass er zu Anfang des 19. Jahrhunderts bereits in einer Weise mit den Texten dieses klassischen Griechen vertraut war, die es ihm wiederum erlaubte, sie zu machen.   Da wir jedoch auch annehmen dürfen, dass eine solche Vertrautheit und ein solches Verständnis der griechischen Klassiker nicht "über Nacht" entsteht, befinden wir uns in unmittelbarer Nähe von Beethovens Aussage auch lebenschronologisch "inmitten" seines Verhältnisses zur Literatur und Philosophie.

Falls wir uns aber ein etwas genaueres Bild davon machen wollen, sollten wir wiederum "zumindest versuchen", die Spuren dieser Entwicklung chronologisch, also von Anfang an, zu verfolgen, dies dann aber auch über den Zeitabschnitt seines Kampfes mit seinem einsetzenden Gehörverlust hinaus tun und auf unserer Spurensuche auch nicht vergessen, etwaige Auswirkungen dieser beethoven'schen Beschäftigung auf sein Werk mit zu bedenken.


Mit den allerersten Anfängen dieser Entwicklung wurden wir hier in unserer Website bereits in den Abschnitten zu Beethovens Jugend in unseren Biographischen Seiten, aber auch in unserer ausführlichen Entstehungsgeschichte der Ode an die Freude bekannt.   Darin diskutierten wir, dass der autodidakte Musiker und Freidenker Christian Gottlob Neefe, Beethovens Bonner Lehrherr und Förderer, wohl den ersten wesentlichen geistigen Einfluss auf ihn ausübte.

 


Christian Gottlob Neefe

Um uns von der Auswirkung dieses Einflusses auf den zehn- bis vierzehnjährigen Ludwig van Beethoven ein Bild zu machen, sollten wir versuchen, uns, soweit dies eben möglich ist, in seine damalige Lage zu versetzen:   Einerseits zeichnete sich sein Vater Johann laut Wegelers Aussage in dessen Biographischen Notizen durch Strenge ihm gegenüber, aber auch durch moralische Schwäche im Allgemeinen, aus, andererseits wartete auf den Knaben Ludwig zuhause immer seine fromme, ernste, laut Aussagen Cäcilie Fischers nie lachende Mutter auf ihn, während sein Schulbesuch im Bonner Tirocinium sowohl vom dort Erlernten her als auch von den dort nicht geschlossenen Freundschaften mit Gleichaltrigen her keinen bleibeneden Eindruck in ihm hinterlassen haben konnte.   Dieses Bild wurde "abgerundet" durch das Flickschusterwerk seiner vor Neefe erhaltenen musikalischen Ausbildung durch Pfeiffer, van den Eeden und Franz Rovantini.

In eben dieses bisher entstandene Gesamtbild der äusseren Einflüsse auf den talentierten, nachdenklichen jungen Musiker Ludwig van Beethoven hinein tritt nun der erste wirklich ethisch motivierte Lehrer Neefe hinein und hinterlässt seine kaum zu verwischenden Spuren in Beethoven, und das wohl nicht nur als Musiklehrer und Lehrherr, sondern durch dessen Umgang mit ihm auch als Mensch, als welcher er auf den Knaben einen ganz anderen Eindruck machen musste als sein bisheriger Umgang.   Zum Einen ist Neefe kein Katholik, sondern Calvinist, zum Anderen aber auch ein Freidenker, der bis zur freiwilligen Auflösung der im bayerischen Ingolstadt enstandenen Illuminati deren "Ortsvorsitzender" in Bonn war. Nach der freiwilligen Auflösung dieser Gesellschaft nahm Neefe wohl auch am Leben der etwas zahmeren Bonner Lesegesellschaft lebhaften Anteil.

Wir können uns hier sicher berechtigterweise die Frage stellen, ob nicht auch durch Neefes Einfluss der bereits durch sein allmorgendliches Orgelspiel in den Frühmessen der einen oder anderen Bonner Kirche mehr praktisch am Gottesdienst teilnehmende junge Ludwig von einer inneren Notwendigkeit der strengen Befolgung eines formalen Katholizismus im Sinne des regelmässigen Gottesdienstbesuchs und der Befolgung aller üblichen Riten des katholischen Alltags bereits etwas abrückte, obwohl seine Alltagsroutine vielleicht noch eine äussere Bindung an diesen Lebensrhythmus mit sich brachte.  Es lässt sich dazu vielleicht auch noch die berechtigte Frage stellen, ob Beethoven bereits damals durch seinen Umgang mit Neefe zur Entwicklung einer persönlichen Auseinandersetzung mit religiösen und geistigen Fragen angeregt wurde.


Somit gewann Beethoven wohl aus seinem Umgang mit seinem Lehrmeister Neefe nicht nur eine erweiterte musikalische Ausbildung und Förderung, sondern auch einen ausgeprägten Sinn dafür, dass es neben dem jungen Hofmusiker Ludwig van Beethoven auch noch den jungen Menschen Ludwig van Beethoven weiterzubilden galt, dessen Geist auch dann nicht abschalten konnte und sollte, wenn er nicht an seinen Instrumenten, der Orgel oder dem Klavier, oder aber auch beim Komponieren sass, sondern dass dieser Geist auch anderer Nahrung bedurfte.

Durch seine wohl ihm Jahr 1784 ihren Anfang findende Freundschaft mit Franz Gerhard Wegeler und die unmittelbar daraus folgende Einführung in den Kreis der von-Breuning-Familie öffneten sich ihm neue Möglichkeiten, Zugang zu solch dringend notwendiger geistiger Nahrung zu finden, auf deren Aufnahme ihn nicht zuletzt sein Umgang mit Neefe vorbereitet hatte.

 


Scherenschnitt der von-Breuning-Familie

In seinem Umgang mit dieser Familie war Beethoven sowohl Gebender als Nehmender, Gebender als Klavierlehrer der Kinder und durch seine musikalischen Beiträge zur Geselligkeit, Nehmender in mancherlei Hinsicht: Zum Einen bot sich ihm hier ein völlig neuer Eindruck dessen, was als "Familienleben" möglich sein konnte und was ihm seine eigene Familie in der Form nicht bieten konnte, zum anderen aber auch einen Einblick in die rege Teilnahme dieser Familie am kulturellen Leben ihrer Stadt und ihrer Zeit. Hier wurde Beethoven wohl zum erstenmal mit den Werken der Weltliteratur und der sich gerade entwickelnden, jungen deutschen Literatur bekannt, also mit den Werken der antiken Klassiker und Werken Klopstocks, Goethes und Schillers.  Uns ist zwar nicht bekannt, welche Lektüre dort im Einzelnen gepflegt wurde, aber die eben erwähnten Autoren waren dort mit grosser Wahrscheinlichkeit durch das eine oder andere Werk als Lektüre der Familie vertreten.    Wichtig ist hier wohl auch, dass Beethoven Gelegenheit hatte, sein Verständnis dessen, was er las, auch durch Diskussionen und Anleitung durch die Erwachsenen der Familie zu vertiefen.

So fand hier wohl in Beethoven ein Lernprozess statt, der es ihm ermöglichte, seine durch Neefes Einfluss gewonnene geistige Unabhängigkeit durch vertiefte Lektüre und gesellschaftlichen Umgang in zwei Richtungen weiterzuentwickeln, und zwar auf einer sehr persönlichen Ebene und auf gesellschaftlicher Ebene.    Was immer Beethoven nach Wien als gesellschaftliche Umgangsformen aus Bonn mitnehmen konnte, holte er sich wohl zuerst im Umgang mit dieser Familie, und was immer er später an Fähigkeiten besass, seine Freude an der Lektüre literarischer Werke zu teilen, bildete sich langsam durch den Umgang mit dieser Familie heraus.


Während Beethoven nach seiner kurzen Wienreise im Frühjahr 1787--wo laut Schindler zwei Männer in ihm einen bleibenden Eindruck hinterliessen, nämlich Mozart (und wozu wir leider in Bezug auf Einzelheiten zu deren Begegnung im Dunkeln verbleiben) und Kaiser Franz Joseph II., den er wohl laut Korrektur des Herausgebers von Schindlers Biografie, Donald McArdle, nur anlässlich eines öffentlichen Auftritts und nicht in "Privataudienz" (wie Schindler wohl vermutete) zu sehen bekam--, und nach dem Tod seiner Mutter im Sommer 1787 für zwei Jahre hauptsächlich mit der Sorge um seine Familie und mit der Ausübung seines Berufs als Hofmusiker beschäftigt war (Cooper argumentiert nicht unüberzeugend, dass diese Jahre kompositorisch nicht so "unfruchtbar" gewesen seien, wie bisher angenommen), fand er, wie bereits im Teil "Beethovens later Bonn Years (1787 - 1792)" diskutiert, in Frau Helene von Breuning eine verständnisvolle, mütterliche Freundin, die ihm, soweit es ihr möglich war, über den Verlust seiner Mutter hinwegzuhelfen versuchte, aber auch, wie Beethoven selbst später dazu kommentierte, in der Lage war, "die Ungeziefer von den Blumen" fernzuhalten, womit er wohl meinte, dass sie ihn zu künstlerischer Bescheidenheit anhielt und zu verhindern wusste, dass er leeren Schmeicheleien zum Opfer fiel.

Wir diskutierten auch bereits, dass die Regelung der Versorgung seiner Familie im Herbst 1789 Beethovens künstlerische Energien wieder freisetzte (wobei wir Coopers Argument in bezug auf eine regere als bisher angenommene zwischenzeitliche Kompositionstätigkeit Beethovens nicht ausser Acht lassen sollten, siehe den Abschnitt Beethovens Letzte Bonner Jahre unserer Online-Biographie), ihm aber auch erneuten Elan verlieh, sich wieder intensiver am kulturellen Leben seiner Vaterstadt zu beteiligen, was  sich dann in seiner regen Teilnahme an den Treffen der Bonner "Lesegesellschaft" und in seinem Belegen von Laienkursen an der Universität Bonn im Winter 1789/1790 ausdrückte.   Auch erwähnten wir bereits, dass wir nicht wissen, welche Vorlesungen er zusammen mit seinen Freunden Bernhard Romberg und den Kügelgen-Brüdern belegte. Es ist uns auch bereits bekannt, dass er mit diesen und anderen jungen Leuten im Bonner "Zehrgarten" verkehrte, dem Restaurant der Bonner Intellektuellen, dem auch eine Buchhandlung angeschlossen war. Hier möchte ich auch noch einwerfen, dass wir nicht wissen, welche Lektüre er sich dort persönlich erworben haben mag.

Was aus dem Verlauf dieser Ereignisse klar wird ist, dass Beethoven durch die Verstärkung der Rückendeckung, die er im Hause von Breuning erhielt und durch die Klärung seiner familiären Finanzlage genug Selbstvertrauen entwickelte, seinen Gesichtskreis zu erweitern und aktiv am geistigen Leben seiner Heimatstadt teilzunehmen.

Auch wissen wir bereits, welche künstlerischen Früchte seine privaten Erfahrungen im Hinblick auf seine Familie und die nachfolgende Erweiterung seines Gesichtskreises erbrachten:  Die Kaiserkantaten von 1790, zu denen wir Sie zu einem kurzen Besuch unserer Entstehungsgeschichte einladen, um sich dort einen vertieften Eindruck dieses Bonner Lebensabschnitts Beethovens zu holen.  (Klicken Sie sich bitte von dort nach hier durch die Rücktaste zurück).

 



Kaiser Joseph II. und sein Bruder Leopold

Aus Beethovens geistigem Wachstum dieser Zeit wird ersichtlich, dass er in Bonn wohl gelernt hatte, was in Bonn zu lernen war, sei es auf musikalischem, sei es auf geistigem und gesellschaftlichem Gebiet.   Der Beethoven, der "zu jeder Strophe" der "Ode an die Freude" Schillers Musik schreiben wollte, hatte sich bereits in Bonn herausgebildet, wie wir aus Professor Fischenichs Brief vom Januar 1793 an Charlotte Schiller erfahren.   Ob Beethoven nach Wien in seinem wohl bescheidenen Reisegepäck viel Lektüre mitnehmen konnte, ist uns nicht bekannt.   Es liegt nun an uns, seine Spuren in Wien wieder aufzunehmen und zu erkunden, in welcher Art und Weise der junge Beethoven dort nicht nur seine musikalische Fortbildung pflegte, sondern auch seine literarische und geistige.


Dazu ersehen wir bereits aus unseren Biographischen Seiten und deren Unterabteilung Beethovens Vienna Study Years, dass er sich hier zuerst auf sein Kontrapunktstudium mit Haydn konzentrierte und dass nach Haydns Aufbruch zu seiner zweiten Englandreise Johann Georg Albrechtsberger Beethovens Kontrapunktlehrer wurde.

Aus diesem Abschnitt unserer Biographie wissen wir auch, dass sowohl Beethovens Bruder Caspar Karl, aber auch sein Bonner Freund Franz Gerhard Wegeler 1794 in Wien eintrafen.   Wegeler, der in den 1780er Jahren in Wien Medizin studiert hatte, fand sich dort zu vertieften medizinischen Studien auf dem Gebiet der Volksgesundheit ein und kehrte 1796 in seine rheinische Heimat zurück.

Aufgrund von Beethovens Konzentration auf sein Kontrapunktstudium und aufgrund seines ersten Erfolges in Wiener Adelskreisen als Klaviervirtuose ist es vielleicht verständlich, dass der so reichlich Beschäftigte in den Jahren 1794/1795 Wegelers Einladung, zusammen mit ihm an einer privaten Vorlesungsreihe zur Philosophie Immanuel Kants als Hörer teilzunehmen, ablehnte. 





Franz Gerhard Wegeler



Immanuel Kant


In seiner Erzählung vertritt Wegeler auch die Auffassung, dass Beethovens Genie das des Schaffens war und nicht das des Intellekts.   Obwohl dies nicht zu verleugnen ist, lässt sich daraus nicht schliessen, dass Beethoven kein lebhaftes Interesse an der Literatur und dem geistigen Leben seiner Zeit entwickelte.

Nur ist es hier trotz der Beweise, die Beethoven durch seine eigenen Aussagen in seinem Brief vom Juni 1801 an Wegeler und im Heiligenstädter Testament erbrachte, zu früh, nach handfesten Beweisen seiner Lektüre zu suchen, da uns hierzu aus dieser Zeit nicht genügend direkte Quellen zur Verfügung stehen.

Es ist aber aufgrund von Beethovens "philosophischen" Äusserungen der Jahre 1801 und 1802 sehr stark zu vermuten, dass er sich zumindest nach der Rückkehr nach Wien von seinen Reisen des Jahres 1796 der Lektüre jener Werke widmete, die sein Interesse erweckten, wie eben die Schriften Plutarchs.

Auch seine Äusserungen der Jahre 1801 und 1802 in bezug auf sein "zurückgezogenes" Leben während der ersten Jahre seines Gehörverlusts weisen auf solch "stillere" Beschäftigungen hin.

Im nächsten kleinen Abschnitt unserer Betrachtung können wir uns dann wiederum den künstlerischen Auswirkungen dieses Vorganges zuwenden.


Obwohl Beethoven Wegeler gegenüber äusserte, dass er die Notwendigkeit, sich in sein Schicksal zu fügen, eingesehen habe und somit auch die Notwendigkeit zur Resignation, wie er sie seinen eigenen Worten nach von Plutarch gelernt habe, spricht aus Beethovens Briefen an Wegeler vom Juni und November 1801 auch ein Widerspruchsgeist, ein sich Auflehnen gegen dieses Schicksal, und eine andere, künstlerische Einsicht --  bei aller Gefasstheit in bezug auf die Ungewissheit dessen, ob sich sein Zustand jemals bessern werde --, nämlich das Durchringen zur weiteren künstlerischen Tätigkeit, wie er es in seinem zweiten Brief an Wegeler vom November 1801 mit diesen Worten ausdrückt:

" - ohne dieses Übel! O die Welt wollte ich umspannen von diesem frei!   Meine Jugend, ja ich fühle es, sie fängt erst jetzt an; war ich nicht immer ein siecher Mensch? Meine körperliche Kraft -- sie nimmt seit einiger Zeit mehr als jemals zu, und so meine Geisteskräfte; jeden Tag gelange ich mehr zu dem Ziel, was ich fühle, aber nicht beschreiben kann. Nur hierin kann Dein B. leben; nichts von Ruhe -- ich weiß von keiner andern als dem Schlaf, und wehe genug tut mir's, daß ich ihm jetzt mehr schenken muß als sonst.   Nur halbe Befreiung von meinem Übel, und dann -- als vollendeter, reifer Mann komme ich zu Euch, erneure die alten Freundschaftsgefühle; so glücklich, als es mir hieniden beschieden ist, sollt Ihr mich sehen, nicht unglücklich -- nein, das könnte ich nicht ertragen, -- ich will dem Schicksal in den Rachen greifen, ganz niederbeugen soll es mich gewiss nicht. -- O es ist so schön, das Leben tausendmal leben; -- für ein stilles -- Leben, nein, ich fühl's, ich bin nicht mehr dafür gemacht. --" (Schmidt, Beethoven=Briefe: 23-24).

 



Beethoven um 1800

(Hier eine kurze Einflechtung in Bezug auf meine weitere Bildauswahl zu diesem Überblick, die sich von hier an vorwiegend aus Abbildungen Beethovens aus seinen noch folgenden Lebensabschnitten zusammensetzt:   Ich traf diese Auswahl im Gegensatz zur weiteren bildlichen Darstellung jener, die auf Beethoven vielleicht einen Einfluss ausgeübt haben mochten, bewusst im Hinblick darauf, dass diese in ihrer jeweiligen Ausdruckskraft so verschiedenen bildlichen Darstellungen Beethovens auch ein Ausdruck dafür sein mögen, wie verschieden ihn die jeweiligen Künstler sahen, was auch als Vergleich dafür dienen mag, welch verschiedene Eindrücke wir alle, daher auch von Beethovens geistiger Entwicklung, aufgrund unserer verschiedensten Ausgangspositionen, gewinnen mögen. Auch können diese Darstellungen als Hinweise auf die natürlichen und geistigen Veränderungen in Beethoven, die darin zum Ausdruck kommen, dienen.)

Dass in Beethoven nicht zuletzt durch seinen beginnenden Gehörverlust ein künstlerischer Gärungsprozess stattfand, wie er sonst auch Künstlern selten "geboten" wird, können auch wir Laien bereits aus diesen Zeilen entnehmen.

Aus Beethovens Schaffensgeschichte wissen wir auch, welche Werke der darauffolgenden Jahre 1803 - 1806 als stärkste Symbole dieses Prozesses bekannt wurden. Wir werden dies im nachfolgenden Abschnitt zur Sprache bringen.


Das Werk, das uns hier wohl am ersten in den Sinn kommt, ist die dritte, als "Eroica" bekannte Symphonie, op. 55. Hierzu möchte ich Ihnen erst einmal ohne Kommentar Anton Schindlers Ausführungen aus seiner Beethoven-Biographie, die mir hier in ihrer englischen Übersetzung unter dem Titel Beethoven as I Knew Him vorliegt, näherbringen:

". . . It therefore seems necessary for us to review some parts of Plato's Republic before proceeding with the Eroica symphony in order to clear up some confused issues. The Republic, an interesting enough work in itself, becomes even more worthy of our attention when we realize that it corresponds well with Beethoven's political beliefs. I have before me the translation by F. Schleiermacher, the version that Beethoven also used. (77)" (Schindler: 112 - 113; Schindler drückt hier aus, dass es notwendig sei, einige Teile von Platons Staat zu studieren, bevor man darangehe, sich mit der Eroica-Symphonie zu befassen, um dadurch einige unklare Fragen zu klären. Zudem, so Schindler, sei der Staat Platons auch ein sehr interessantes Werk, das sehr gut mit Beethovens politischen Ansichten übereinstimme. Er selbst habe vor sich F. Schleiermachers Übersetzung liegen, die auch Beethoven benützte.)

Hier ist es sehr wichtig, die Fussnote des Herausgebers, Donald W. McArdle, zu zitieren:

"(77) Schindler's too frequent disregard of chronology, and the undependability of his factual statements except as regards events in which he was as participant, are illustrated here: Schleiermacher's translation of the Rebublic was first published only in 1828 (Brit 24-311). No works of Plato were included in the inventory of Beethoven's library that was prepared after his death (Leitzmann, Ludwig van Beethoven [1921] II 379-83), and except for these statements by Schindler, there seems to be no evidence that at any period of his life Plato was one of the classical writers with whose works Beethoven was familiar. . . . " (Schindler: 190; McArdle warnt die Leser Schindlers hier vor Schindlers chronologischer Ungenauigkeit, besonders in bezug auf Beethoven-Ereignisse, die er selbst nicht miterlebte und führt aus, dass Schleiermachers Übersetzung dieses Werks Platons erst 1828 verlegt wurde, und dass keine Werke Platons in Beethovens Privatbibliothek gefunden worden seien.)

Diese Anmerkung McArdles führte mich zu zwei weiteren Gedankengängen, nämlich zum Einen dahin, dass Schindlers Biographie aus zwei Gründen für diese kleine Übersicht unentbehrlich ist: Zum Einen zeigen uns die sorgfältig recherchierten Kommentare des Herausgebers, wie vorsichtig wir mit den Äusserungen dieses Beethoven- Faktotums umgehen müssen, zum Anderen ist aber solch ein Kontraststudium sehr hilfreich im Herausschälen relevanter Information im Vergleich mit anderen frühen biographischen Werken wie Wegeler/Ries, von Breuning und Thayers Standardbiographie. Zudem ist Schindlers Werk auch unentbehrlich als Informationsquelle in bezug auf jene Beethovenereignisse, die er aus eigener Erfahrung miterlebte.

 


Beethoven um 1803

Der zweite hier relevente Gedanke ist, dass, was auch immer Beethovens künstlerische und geistige Motivationen zur Schaffung der Eroica gewesen sein mochten, es waren aller Wahrscheinlichkeit nach nicht Platons Werke. Wir können uns hier berechtigterweise die Frage stellen, welche andere geistigen Einflüsse hier am Werk waren, sollten aber eine ausführlichere Diskussion dieses Themas einer Werkbeschreibung der Eroica zuordnen.

Dass jedoch Werke wie diese Symphonie aus dem künstlerischen Gärungsprozess zwischen den Extremen der von Beethoven einerseits angestrebten Resignation im Sinne Plutarchs und seinem rastlosen Vorwärtsstreben im Sinne seiner Aussage des dem Schicksal in den Rachen Greifens andererseits hervorgegangen sein mögen, ist allein schon aufgrund Beethovens eigener Aussagen in bezug auf seinen Zustand während und vor dieser Zeit nachvollziehbar und diskutierbar.


Dass Beethovens reges Schaffen auch nach dem möglichen Wegfall seiner ihm von Fürst Lichnowsky garantierten Jahreszahlung von 600 Gulden im Spätsommer 1806 nicht abriss, ist durch die reiche Zahl neuer Werke verschiedensten Charakters, die in den Jahren 1807 und 1808 entstanden sind, bewiesen.   Somit ist wohl anzunehmen, dass Beethovens Ringen dieser Jahre um seine künstlerische Existenz ihm weniger Zeit zur Reflektion gelassen haben mag.

So ist es vielleicht nicht verwunderlich, dass Thayer erst im Kapitel zum Jahr 1810 auf Beethovens Fortschritte in bezug auf seine Selbstbildung zu sprechen kommt, also nach Beethovens endgültiger Ablehung des Kasseler Angebots eines Kapellmeisterpostens am Hof des Königs von Westfalen, Jerome Bonaparte, nach den Verhandlungen vom Frühjahr 1809 in bezug auf Beethovens ihm von den Fürsten Lobkowitz und Kinsky und Erzherzog Rudolph gezahlten Jahresgehalt von 4.000 Gulden und nach der französischen Besetzung Wiens im Jahr 1809.   Wir sollten uns diese Anmerkungen aus Thayer hier genauer betrachten:

"Beethoven, during the fifteen years since Wegeler's vain effort to induce him to attend lectures on Kant (recorded in the Appendix, p. 9 of the Notizen) had become to some considerable degree a self-taught man; he had read and studied much, and had acquired a knowledge of the ordinary literary topics of the time, which justified that fine passage in the letter to Breitkopf and Härtel of November 2, 1809: "There is scarcely a treatise which would be too learned for me. Without making the least claim concerning my own learnedness, I have tried since childhood to grasp the meaning of the better and the wise of each age. Shame to any artist who does not hold it to be his duty to have at least that amount of proficiency--" (Thayer: 480; Thayer führt hier aus, dass Beethoven sich in den fünfzehn Jahren seit Wegelers vergeblichem Versuch, ihn zu Kant-Vorlesungen zu überreden, zu einem beachtlichen Grad selbst weitergebildet hatte, dass er viel las und studierte und sich dadurch auf dem Gebiet der zu seiner Zeit bekannten Literatur ein beachtliches Wissen angeeignet habe, das auch seine entsprechenden Äußerungen in seinem Schreiben vom 2. November 1809 an Breitkopf und Härtel rechtfertigte: "Es gibt kaum ein Werk, das für mich zu schwierig ist. Ohne jegliche Ansprüche in bezug auf meine Bildung zu machen, kann ich doch sagen, dass ich seit meiner Kindheit versucht habe, die Bedeutung der Äußerungen der Besseren und Weisen jedes Zeitalters zu verstehen. Schande über jeden Künstler, der es nicht für seine Pflicht hält, sich zumindest soviele Kenntnisse anzueignen.--").

 



Beethoven um 1809


Aus der Gegenüberstellung unserer zu Anfang dieses Abschnitts geäusserten Vermutung, dass Beethoven während der Jahre 1806 - 1808/9 weniger Zeit zur Reflektion gehabt haben mag und der von Thayer übermittelten Tatsache, dass Beethoven sich im Lauf der Zeit ein umfangreiches literarisches Wissen angeeignet hatte, gelangen wir fast wie von selbst zu Beethovens eigener Aussage dazu in seinem gerade zitertieren Brief an Breitkopf und Härtel, "Schande über jeden Künstler, der es nicht für seine Pflicht hält, sich zumindest soviele Kenntnisse anzueignen."  Daraus lässt sich zumindest der Schluss ziehen, dass Beethoven im Spätherbst 1809, also nach dem Ende der Turbulenz der vorangegangenen Jahre, immerhin genügend Zeit und Muße fand, sich Gedanken zu machen in bezug auf sein  eigenes Verhältnis zu seiner Weiterbildung und sich dann dazu auch noch schriftlich zu äussern.

Obwohl sich jetzt hier auch die Gesamtfrage nach Beethovens Lektüre und nach seiner Privatbibliothek aufwirft, sollten wir uns dieses umfassende Thema für den Abschluss unserer Betrachtung aufheben, da wir uns dann alle hier zur Verfügung stehenden Quellen erarbeitet haben werden.

Chronologisch richtig und relevant fährt Thayer wie folgt fort :

"Strikingly in point is the interest which he exhibits during these and following years in the oriental researches of Hammer and his associates. His notes and excerpts prove a very extensive knowledge of their translations, both published and in manuscript; and, moreover, that this strange literature was perhaps even more attractive to him in its religious, than in its lyric and dramatic aspects. In these excerpts,--indeed, generally in extracts from books and in his underscoring of favorite passages in them--Beethoven exhibits a keen perception and taste for the lofty and sublime, far beyond the grasp of any common or uncultivated mind. . . . The following, given here from his manuscript, is perhaps the finest transcription from Hindu literature:
God is immaterial; since he is invisible he can have no form, but from what we observe in his works we may conclude that he is eternal, omnipotent, omniscient and omnipresent--The mighty one is he who is free from all desire; he alone; there is no greater than he.
Brahma: his spirit is enwrapped in himself. He, the mighty one, is present in every part of space--his omniscience is in spirit by himself and the conception of him comprehends every other one; of all comprehensive attributes that of omniscience is the greatest, for it there is no threefold existence. It is independent of everything. O God, thou art the true, eternal, blessed, immutable light of all times and all spaces. Thy wisdom embraces thousands of always, and yet thou dost always act freely and for thy honor. Thou wert before all that we revere. To thee be praise and adoration. Thou alone art the truly blessed one (Bhagwan); thou, the essence of all laws, the image of all wisdom, present throughout the universe, thou upholdest all things. . . ." (Thayer: 480 - 481; Thayer führt hier aus, dass Beethovens Interesse dieser und der folgenden Jahre an den orientalischen Forschungen Hammers und seiner Kollegen bemerkenswert sei und dass seine Notizen und Zitate auf eine umfangreiche Kenntnis Beethovens von deren Übersetzungen hinweist, und das sowohl in bezug auf deren veröffentlichte Werke und deren Manuskripte, und dass diese eigenartige Literatur für Beethoven vielleicht mehr in religiöser als in lyrischer und dramatischer Hinsicht von Interesse war.   In seinen Auszügen, führt Thayer fort, beweise Beethoven eine grosse Fassungsgabe für das Hohe und Erhabene, und zwar weit über das Durchschnittsverständnis des Ungebildeten hinaus. Danach zitiert Thayer zwei von Beethoven aus der Hindu-Literatur ausgewählte, passende Zitate:
'Gott ist immateriell; da er unsichtbar ist, kann er keine Form haben, aber von dem, was wir in seinen Werken beobachten, dürfen wir darauf schliessen, dass er ewig, allmächtig, allwissend und allgegenwärtig ist.--Der Mächtige ist jener, der von allem Verlangen befreit ist; er ist allein; es gibt keinen Grösseren als ihn.'
'Brahama: sein Geist ist in sich selbst eingeschlossen. Er, der Mächtige, ist in jedem Teil des Weltalls gegenwärtig--seine Allwissenheit ist im Geist mit ihm, und die Vorstellung von ihm umfasst alle anderen Vorstellungen; von all seinen umfassenden Eigenschaften ist die der Allwissenheit die grösste, da es für sie keine dreifache Existenz gibt. Seine Existenz ist von allem anderen unabhängig. O Gott, Du bist das wahre, ewige, gesegnete, unzerstörbare Licht aller Zeiten und aller Räume. Deine Weisheit umfasst tausende von Gesetzen, und trotzdem handelst Du immer frei und um Deiner Ehre willen. Du warst vor allem, was wir verehren. Dir sei Lob und Anbetung. Du allein bist der wirklich Gesegnete (Bhagwan); Du, die Essenz aller Gesetze, das Bild aller Weisheit, im ganzen Universum gegenwärtig, Du erhältst alle Dinge.'

Zumindest vom Thema her passend  verweist Thayer auf Beethovens gleichzeitiges Interesse an Goethes West-Östlichem Diwan, seiner "collection of exquisite imitations of (then) fresh notices of the manners, customs, books and authors of Persia" (Thayer: 481; Thayer bezeichnet Goethes Werk hier als eine Sammlung exquisiter, damals interessanter Anmerkungen zum Brauchtum, zur Literatur und zu den Dichtern Persiens.).

In diesem Zusammenhang weist Thayer auch auf Goethes dort nicht passenden Aufsatz hin, Israel in der Wüste, was dann auf folgenden Hinweis auf Beethovens Interesse an den altägyptischen Tempelinschriften, die er seiner Meinung nach wohl am ehesten aus Schillers Aufsatz "Die Sendung Moses" entnommen haben mag, handschriftlich festhielt und unter Glas auf seinem Schreibtisch aufbewahrte, überleitet. Zitieren wir dies daher direkt aus diesem Aufsatz Schillers:

"Die Epopten erkannten eine einzige höchste Ursache aller Dinge, eine Urkraft der Natur, das Wesen aller Wesen, welches einerlei nur mit dem Demiurgos der griechischen Weisen.   Nichts ist erhabener als die einfache Größe, mit der sie von dem Weltschöpfer sprachen.   Um ihn auf eine recht entscheidende Art auszuzeichnen, geben sie ihm gar keinen Namen.   Ein Name, sagten sie, ist bloss ein Bedürfnis der Unterscheidung; wer allein ist, hat keinen Namen nötig, denn es ist keiner da, mit dem er verwechselt werden könnte.    Unter einer alten Bildsäule der Isis las man die Worte: 'Ich bin, was da ist,' und auf einer Pyramide zu Sais fand man die uralte merkwürdige Inschrift: 'Ich bin alles, was ist, was war und was sein wird: kein sterblicher Mensch hat meinen Schleier aufgehoben.'  Keiner durfte den Tempel des Serapis betreten, der nicht den Namen Iao oder I-ha-ho--ein Name, der mit dem hebräischen Jeovah fast gleichlautend, auch vermutlich von dem nämlichen Inhalt ist--an der Brust oder Stirn trug; und kein Name wurde in Ägypten mit mehr Ehrfurcht ausgesprochen, als der Name Iao.   In dem Hymnus, den der Hierophant oder Vorsteher des Heiligtums dem Einzuweihenden vorsang, war dies der erste Aufschluss, der über die Natur der Gottheit gegeben wurde.  'Er ist einzig und von ihm selbst, und diesem einzigen sind alle Dinge ihr Dasein schuldig'" (Schiller, Gesamtausgabe, Band 6/2: 270-271).

Die moderne biographische Beethoven-Literatur versucht sich mit diesen von Beethoven gesammelten Sprüchen nicht nur aus seinen ihm möglicherweise bewussten Gründen für seine Auswahl zu beschäftigen, sondern auch von psychologischen Gesichtspunkten her.   Hier erfolgt aus Mangel an psychologischen Kenntnissen keinerlei Stellungnahme dazu.

Bereits hier diskutiert Thayer Beethovens seiner Meinung nach zu dieser Zeit gefestigte religiöse und weltanschauliche Ansichten.   Ob und in welchem Maß Beethovens Ansichten wirklich als endgültig ausgeformt angesehen werden können, ist jedoch ohne ausführliche, genau bereits auf diese Zeit bezogene schriftliche Äusserungen nicht mit endgültiger Sicherheit festzulegen.   Hierzu wäre ein penibles chronologisches Studium Beethovens eigener Notizen vonnöten.   Bis die Autorin hier von einschlägigen Ergebnissen berichten kann, behält sie sich das Thema für eine allgemeine, diesen Überblick abschliessende Betrachtung vor.


Beethovens Leben und Schaffen der Jahre 1811 bis 1815 wurde von den uns aus unseren Biographischen Seiten bereits bekannten Ereignissen wie dem Ausklang seiner zweiten Stilepoche, der des heroischen Stils, mit der siebten und achten Symphonie, der Umarbeitung seiner Oper Fidelio im Jahr 1814, aber auch mit dem Brotwerk Wellingtons Sieg bei Victoria, seinem Kampf um die Stabilisierung seiner Jahresrente, seiner Beziehung zur Unsterblichen Geliebten, deren Verlust, Trauerphase um sie, und der nachfolgenden, wieder auflebenden kompositorischen Tätigkeit und seiner Popularität während der Jahre 1814/1815 im Zuge der Ereignisse des Wiener Kongresses bestimmt.

 



Beethovens  Maske, 1812


Daraus können wir zumindest schliessen, dass hier in Beethovens Leben viele verschiedene Einflüsse ineinandergriffen und ihn bewegten, von weiteren Existenzsorgen über endgültigen Verzicht auf wirkliches oder vermeintliches Lebensglück an der Seite seiner Unsterblichen Geliebten zur Trauer über diesen Verlust, gefolgt von Zuständen persönlicher Verwahrlosung, Aufrüttelung und erneuter künstlerischer Aktivität verschiedensten Charakters, und dem Gipfelpunkt seiner äusseren Polularität im Zuge politischer Ereignisse.

Für uns mag aus dieser Zeit sein Kontakt mit Bettina Brentano und ihre Bemühungen, ihn mit Goethe bekanntzumachen sowie seine tatsächlich im Sommer 1812 in Teplitz stattgefundene Begegnung mit dem von ihm verehrten Dichter von Interesse sein, obwohl es sich dabei wiederum nur um eine äussere Auswirkung seines innerlich vorhandenen Interesses handelt und daher wenig zusätzliche, relevante Information in sich birgt.


In den folgenschweren Jahren 1815 - 1820 kämpfte Beethoven ja, wie uns dies aus dem entsprechenden Abschnitt unserer Biographischen Seiten bekannt ist, um die Vormundschaft über seinen Neffen Kaspar Karl, was mit einem ungeheuren Zeitaufwand an Korrespondenz, persönlichen und Rechtsstreitigkeiten verbunden war, der ihm schon äusserlich weniger Zeit zur Komposition liess.   Zudem verschlechterte sich sein Gehör in diesen Jahren so sehr, dass er mindestens seit 1818 seinen Besuchern die berühmten Konversationshefte zur Aufzeichnung der an ihn gerichteten Fragen anbieten musste.

Wir wissen aber auch, dass Beethoven im Sommer 1818, wohl aus dem äusseren Anlass der Ernennung seines Schülers, des Erzherzogs Rudolph, zum Kardinal von Olmütz, innerlich aber wohl auch selbst dazu gedrängt, sich mit dem Gedanken der Komposition seiner Missa Solemnis ernsthaft auseinandersetzte.

 


Beethoven um 1818

Obwohl sein "Sieg" im Kampf um die Vormundschaft über seinen Neffen im Jahr 1820 Beethovens Schaffenskräften wieder etwas mehr Raum zur künstlerischen Entfaltung und Tätigkeit erlaubte, hinterliess uns Beethoven besonders im nächsten Lebensabschnitt einige unmittelbare Spuren seiner allgemeinen Reflektionstätigkeit und auch der seiner "stillen" Jahre von 1815 - 1820.


Thayer beschreibt Beethovens Einsamkeit dieser Zeit im Kapitel zum Jahr 1820 seiner Biographie wie folgt:

"Beethoven was become a lonely man--an enforced seeker of solitude.   No doubt many who would have been glad to give him their friendship were deterred by the widespread reports of his suspicious, unapproachable, almost repellent nature. But a miracle happened. Driven in upon himself by the forces which seem to have been arrayed against him, introspection opened wider and wider to him the doors of that imagination which in its creative function, as Ruskin tells us, is "an eminent beholder of things and where they are not; a seer, that is, in the prophetic sense, calling the things that are not as though they were, and forever delighting to dwell on that which is not tangibly present." Now, he proclaimed a new evangel, illustrated a higher union of beauty and truthfulness of expression, exalted art till it entered the realm of religion.

In a Converstion Book of February, 1820, there stands a bold inscription in Beethoven's hand: 'The moral law in us, and the starry sky above us--Kant!!!'" (Thayer: 747; Thayer führt hier aus, dass aus Beethoven ein einsamer Mann geworden war-- dazu gezwungen, die Einsamkeit zu suchen, dass jedoch viele ihm ihre Freundschaft nicht verweigert hätten, wären sie nicht durch allgemeine Gerüchte von Beethovens misstrauischem, abweisendem Wesen davon abgehalten worden, dass sich in Beethoven jedoch auch ein Wunder vollzogen habe, da sich ihm, in sich selbst hineingetrieben von den Kräften, die sich um ihn gegen ihn aufgebaut hätten, die Pforten zur tieferen Introspektion öffneten, wobei Thayer Ruskin wie oben zitiert. Beethoven habe dadurch begonnen, ein neues Evangelium zu verkünden, das eine höhere Vereinigung von Schönheit und Wahrheit im Ausdruck erzielte, Kunst, die fast in den Bereich der Religion eindrang.   Während dieser Zeit, nämlich in einem Konversationsheft vom Februar 1820 habe Beethoven vermerkt:   'Das moralische Gesetz in uns, der Sternenhimmel über uns--Kant!!!'.)

Der Leser wird sich vielleicht an Wegelers Bericht erinnern, dass Beethoven es im Jahr 1795 abgelehnt hatte, an Laienvorlesungen zu Kants Philosophie als Hörer teilzunehmen...

Aus dem Jahr 1822 berichtet Thayer, dass Rochlitz:

" . . . in his letters from Vienna reports Beethoven's humorous account of his enthusiasm for Klopstock in his early life: 'Since that summer in Karlsbad I read Goethe every day, that is, when I read at all. He (Goethe) has killed Klopstock for me. You are surprised? And now you laugh? Ah ha! It is because I have read Klopstock. I carried him about with me for years while walking and also at other times. Well, I did not always understand him, of course. He leaps about so much and he begins at too lofty an elevation. Always Maestoso, D-flat major! Isn't it so? But he is great and uplifts the soul nevertheless. When I could not understand him I could sort of guess. If only he did not always want to die! That will come quickly enough. Well, at any rate, what he writes always sounds well. But Goethe--he is alive, and he wants us all to live with him. That is why he can be set to music. There is no one who lends himself to musical setting as well as he. . . . " (Thayer: 802: Thayer berichtet hier, dass Beethoven in seinem Gespräch mit Rochlitz diesem zu verstehen gab:   'Seit jenem Sommer in Karlsbad las ich Goethe jeden Tag, das heisst, wenn ich überhaupt las.   Er (Goethe) hat Klopstock für mich getötet.   Sie sind überrascht?   Und jetzt lachen Sie? Aha!   Das kommt daher, dass ich Klopstock gelesen habe.   Ich trug ihn jahrelang auf meinen Spaziergängen und zu anderen Zeiten mit mir herum.   Nun, selbstverständlich habe ich ihn nicht immer verstanden. Er springt so arg herum und beginnt immer von einer zu hohen Ebene aus.   Immer Maestoso, Dis-Dur!   Ist es nicht so?   Aber er ist grossartig und erhebt trotzdem die Seele.   Wenn ich ihn nicht verstehen konnte, konnte ich ihn doch in etwa erraten.   Wenn er nur nicht immer sterben wollte!   Das kommt schnell genug.   Nun, auf alle Fälle klingt das, was er schreibt, gut.   Aber Goethe--er lebt, und er will, dass wir alle mit ihm leben.   Darum kann er auch vertont werden.   Niemand eignet sich besser zur Vertonung als er . . .'.)

Aus dem Jahr 1823 berichtet Thayer, dass der Engländer Edward Schulz von seinem Besuch Beethovens schrieb, dass er in ihm einen Freund der klassischen griechischen Literatur wie der Werke Homers, besonders seiner Odyssee, gefunden hätte, dass er Plutarch allen anderen vorzöge, und von den Dichtern seines eigenen Landes Schiller und Goethe besonders verehre.

 


Beethoven im Jahr 1823

Zu dieser Zeit hatte Anton Felix Schindler bereits seine Rolle als Beethovens Privatsekretär übernommen und wird uns noch in unserer abschliessenden Zusammenfassung dieser chronologischen Betrachtung begegnen.

In bezug auf die Auswirkungen von Beethovens vertiefter Introspektion auf seine Werke hören wir uns alle am Besten seine Spätwerke selbst immer wieder an, um daraus das zu erfassen, wofür wir empfänglich sind.

Diese Werke lassen sich wohl in zwei Hauptgruppen einteilen, nämlich die zwei grossen öffentlichen Werke, die Missa Solemnis und die Neunte Symphonie, zu deren Uraufführung auch Beethoven noch einmal in Kontakt mit dem allgemeinen Publikum kam, und die Kammermusikwerke und Werke für Klavier, wie seine späten Klaviersonaten, op. 109, 110 und 110 und seine letzten fünf Streichquartette, um die wichtigsten hier zu nennen.

Seine letzte Krankheit und die damit verbundene Bettlägerigkeit bescherte Beethoven auch viele Stunden, in denen er seiner Langeweile durch Lektüre begegnete.   Hierzu berichtet Stefan Ley in seiner Beethoven-Biographie, dass Beethoven laut gewisser Eintragungen in den Konversationsheften dieser Zeit auch Bücher aus der Leihbücherei entlieh.   Vielleicht sollten wir uns dazu an darin zitierte Konversationsbucheinträge halten:

"Schindler: 'Der Plutarch ist selbst um die größte Einlage nicht ganz auf einmal zu haben, weil alle Bände zirkulieren. Es waren gestern nur von allen Exemplaren 2 Bände zu Hause. Ich habe also den Epiktet genommen.'

Gerhard [von Breuning]: 'Liest du die Altertümer der Römer und Griechen gerne? Wenn du sie gerne liest, so werde ich dir morgen die Abbildungen derselben samt der Erklärung bringen, auch noch ein anderes Buch, welches von diesen Altertümern insgemein handelt. Diese Bücher brauchte ich die vorigen vier Jahre hindurch in der Schule.'

. . .

Gerhard [von Breuning]: ' . . . Du hast Walter Scott schon gelesen?   Willst du vielleicht Schiller lesen?
Willst du die Weltgeschichte von Schröckh?
Vielleicht willst du die Reisebeschreibungen von Sommer? Ich werde sie dir morgen zeigen'" (Ley: 367, 372 - 373).

Nach Beethovens Tod am 27. März 1827 wurde auch seine Privatbibliothek Teil seines Nachlasses. Welche Bücher befanden sich wohl darunter?

 



Beethovens Studierzimmer
im Schwarzspanierhaus
mit dem Bücherregal
in der Mitte


Dieser Frage werden wir im folgenden Abschnitt nachgehen.


Die Beantwortung dieser Frage führt mich zurück zur englischen Ausgabe von Schindlers Beethoven-Biographie, Beethoven as I Knew Him, die von Donald McArdle sorgfältig editiert wurde.   In der Wiedergabe des Inhalts des Abschnitts zu Beethovens Privatbibliothek möchte ich wie folgt vorgehen:

Schindlers Beschreibung

McArdle's Anmerkung dazu

"Beethoven's Private Library" (305)

In Fussnote 305 führt McArdle aus, dass Beethovens Privatbibliothek aus etwa 200 bis 300 Bänden bestanden hatte, die hauptsächlich aus Werken der Weltliteratur und der deutschen Literatur bestand, und dass Schindler davon 17 Bände als Teil seines Nachlasses an die Staatsbibliothek in Berlin weitergab, dass eta 175 Bände aus Beethovens Privatbibliothek in der Versteigerung von Beethovens Nachlass am 5. November 1827 veräussert wurden und eta 18 Gulden und 20 Kronen einbrachten, und dass letztendlich eine unbekannte Anzahl von Bänden, wobei es sich hauptsächlich um Übersetzungen der von ihm gelesenen klassischen Texte handelte, während der Monate nach Beethovens Tod, in denen sein Nachlass unbewacht blieb, entwendet worden seien.  Eine Liste der uns bekannten Beethoven-Lektüre sei in Leitzmann, Ludwig van Beethoven (II, 379), aber auch in Kerst II 332 enthalten.  McArdle weist auch auf viele Konversationsbucheinträge hin, die sich mit Beethovens weitreichendem Interesse an Büchern und Lektüre befassten.

"We have already mentioned in passing our master's modest private library.  It is, however, worth our trouble to examine it more closely.  Towards the end of his life we noted which of the principal Greek writers occupied places of honour there.  We should also say that Homer was represented by both his immortal epics" ("Wir erwähnten bereits beläufig die bescheidene Privatbibliothek unseres Meisters.  Es ist jedoch der Mühe wert, diese genauer zu inspizieren.  Gegen das Ende seines Lebens vermerkten wir, welche der wichtigsten griechischen Autoren darin einen Ehrenplatz einnahmen.  Wir sollten auch sagen, dass Homer durch beide seiner unsterblichen Werke vertreten war"--Schindler, 378).  (306) Weiterhin bemerkt Schindler, dass Beethoven an der kriegerischen Ilias weniger Interesse fand als an der Odyssee.

In Fussnote 306 erläutert McArdle, dass von all den klassichen Autoren, die Schindler und andere als Beethovens Lieblingsautoren erwähnten, von Homer, Platon, Plutarch, Aristoteles, Euripides, Plinius, Ovid und vielleicht Horaz, Quintilian, Tacitus, Lucian und Xenophon--Homers Odyssee der einzige Band ist, der uns aus seiner Privatbibliothek erhalten blieb, und dass Nohl in seinem Werk Beethovens Brevier in der Sokolowski-Edition von 1901 auf Seite 78 anführt, dass es sich hierbei um eine Übersetzung von Voss aus dem Jahr 1781 handelt, dass dieser Lederband Zeichen der häufigen Benützung wie Kaffeeflecken und Kerzentropfen aufweise. Nohl habe in der Odyssee mehr als 50 von Beethoven unterstrichene Passagen vermerkt. Auch habe der Dichter Theodor Körner am 10. Februar 1813 an seinen Vater geschrieben, dass er zu Ulysses Wiederkehr von Beethoven einen Text schreiben sollte, dass dies jedoch dadurch verhindert worden sei, dass der Dichter im Krieg den Tod fand.

"He had the complete works of Shakespeare in the Eschenburg translation. (307) Most of the volumes showed unmistakable marks of careful reading..." (Er hatte die kompletten Werke Shakespeares in der Eschenburg-Übersetzung. (307) Die meisten dieser Bände wiesen eindeutige Zeichen der häufigen Lektüre auf..." (Schindler: 378).

In Fussnote 307 weist McArdle darauf hin, dass sich unter den in der Staatsbibliothek in Berlin bewahrten Beethoven-Bänden auch zwei Doppelbände der Eschenburg-Prosaübersetzung befinden, die Othello, Romeo und Julia, Viel Lärm um Nichts, Ende gut, alles gut, Der Kaufmann von Venedig, The Winter's Tale, Wie es euch gefällt und Love's Lavors Lost enthielten, und dass alle dieser Werke mit Ausnahme der zwei letzten viele Spuren der Lektüre enthielten, dass Nohls Beethovens Brevier 51 Passagen aus diesen Werken enthielt, wovon 20 aus dem Kaufmann von Venedig stammten. In der Berliner Sammlung befindet sich laut McArdle auch ein Neudruck von 1825 von Schlegels metrischer Übersetzung von The Tempest, und dass die Liste der Bücher, die versteigert wurden, auch Shakespeares Dramen, jedoch nicht weiter identifiziert, enthalten habe.

". . . as did the Odyssey, the West- Östliche Divan, and Sturm's Betrachtungen der Werke Gottes" (308) ("...wie auch die Odyssee, der West-Östliche Divan und Sturms Betrachtungen.... (Schindler: 378)

In Fussnote 308 weist McArdle darauf hin, dass Beethovens Brevier 43 notierte Passagen aus dem West-Östlichen Divan, und 41 aus Sturms Betrachtungen enthalte.

"He refused to have anything to do with Schlegel's translation of the great Briton: he pronounced it stiff, formal, and at times too far from the original, which he could deduce only by comparing it with Eschenburg's version." (309) ("Er wollte nichts mit Schlegels Übersetzung des grossen Briten zu tun haben: er beschrieb sie als steif, förmlich, und mitunter vom Original zu stark abweichend, was er nur aus seinem Vergleich mit der Eschenburg-Übersetzung erfahren konnte." (Schindler: 378). In Fussnote 309 bemerkt McArdle, dass diese Bemerkung Beethovens Brief vom May 1810 an Therese Malfatti widerspricht: "Haben Sie Goethes Wilhelm Meister und Shakespeare in Schlegels Übersetzung gelesen? . . . Vielleicht soll ich Ihnen diese Werke schicken."

"As for Goethe, he had, besides the Divan, only Wilhelm Meister, Faust, and the poems; of Schiller's works he had only the poems and some of the plays. (310) "Was Goethe betrifft, hatte er neben dem Divan nur Wilhelm Meister, Faust und die Gedichte; von Schillers Werken hatte er nur die Gedichte und einige der Dramen." (Schindler: 378).

In Fussnote 310 führt McArdle an, dass unter Punkt 25 der Auktionsliste der Bücher Beethovens sich Goethes Gesammelte Werke, nämlich 24 Bände, von denen einige doppelt vorhanden waren, dass Punkt 26 Schillers Gesammelte Werke aufführte, 21 Bände verschiedener Art und 3 besser aufgemachte Bánde. McArdle geht hier jedoch auch Schindlers auf Seite 504 angeführtes Argument, dass einige dieser Bücher nachträglich in den Nachlass eingeschmuggelt worden sein könnten, ein, und hält dies aufgrund der Tatsache, dass auch viele Bände entwendet worden sind, nicht für unmöglich.
Schindler führt abschliessend noch an, dass Beethoven auch Tiedges Urania, Gedichte von Seume, Matthisson und einiger anderer zeitgenössischer Autoren besass, bevor er sich dann Beethovens Musikbibliothek widmet. Hierzu ist keine Anmerkung McArdles vorhanden.

Aus obenstehender tabellarischer Übersicht wird deutlich, dass Beethovens Privatbibliothek letztendlich zum grössten Teil auf der Versteigerung vom Herbst 1827 veräussert wurde, sofern nicht bereits vorher einige Bände aus dem unbewachten Bestand entwendet worden waren und vielleicht andere hinzugeschmuggelt, und dass aus Schindlers Nachlass, den er der Staatsbibliothek in Berlin vermachte, 17 Bände aus Beethovens Privatbibliothek dort zur Verwahrung gelangten.   Wer sich für die Auktionsliste von 1827 interessiert, kann diese entweder, wie oben angegeben, in Leitzmann oder Kerst ausfindig machen. Lassen Sie mich hier aus verlässlicher Quelle, nämlich der holländischen Online-Biographie von Joyce Maier, eine Zusammenfassung von Beethovens Lektuere wie folgt zitieren:

"Enkele voorbeelden van wat er zoal in die kast stond: de bijbel in het Frans, Kant, Naturgeschichte; Seiler, Kleine Bibel für Kranke; Sailer, Goldkörner; Lafontaine, Fables choisies; Hufeland, Übersicht der Heilquellen; Sturm, Beobachtungen über die Werke Gottes; Weissenbach, Meine Reise zum Congress; Thomas a Kempis, De imitatione Christi; Goethe, Sämmtliche Schriften; Schiller, Sämmtliche Werke; Klopstock, Werke; Plutarchus' biografieën; Shakespeares toneelstukken en, last but not least, Burney, A general history of music en Mattheson, Der volkommene Kapellmeister."

Wie in unserer Übersicht bereits angedeutet, konnte ich Thayers Schlussfolgerung, dass Beethovens philosophische und religiöse Anschauungen bereits um 1810 vollkommen ausgeformt waren, nicht durch Beethovens eigene Äusserungen belegen. Es lässt sich jedoch allein schon aus der Weiterentwicklung der Spiritualität des musikalischen Ausdrucks in seinen Spätwerken darauf schliessen, dass diese Frage vielleicht wirklich nicht so klipp und klar beantwortet werden kann. Da sowohl Thayer als auch Schindler auf Beethovens häufigen Gebrauch der Lektüre Pastor Christian Sturms aus Hamburg erwähnen, lassen Sie uns hier abschliessend die Spannweite von Beethovens Interesse durch folgende Zitate belegen:

"To the praise of thy goodness I must confess that Thou hast tried all means to draw me to Thee. Now it hath pleased The to let me feel the heavy hand of Thy wrath, and to humiliate my proud heart by manifold chastisements. Sickness and misfortune hast Thou sent to bring me to a contemplation of my digressions. But one thing only do I ask, O God, case not to labor for my improvement. Only let me, in whatsoever manner pleases Thee, turn to Thee and be fruitful of good works" (Thayer: 391-392; Aus Sturms Betrachtungen [Zum Lob Deiner Güte muss ich bekennen, dass Du alles versucht hast, mich Dir nahezubringen. Nun gefiel es Dir, mich die harte Hand Deines Zornes zu spüren und mein stolzes Herz durch mannigfache Züchtigungen zu beschämen. Krankheit und Ungemach hast Du mir gesandt, um mich zur Betrachtung meiner Übertretungen zu zwingen. Ich bitte Diach aber um eines, o Gott, lasse nicht nach in Deinen Bemühungen um meine Besserung. Lasse mich nur immer wie es Dir gefällt, fruchtbar sein und gute Werke tun.]).

'Ich bin, was da ist,' . . . 'Ich bin alles, was ist, was war und was sein wird: kein sterblicher Mensch hat meinen Schleier aufgehoben' . . . 'Er ist einzig und von ihm selbst, und diesem einzigen sind alle Dinge ihr Dasein schuldig'" (Schiller, Gesamtausgabe, Band 6/2: 270-271).

'Das moralische Gesetz in uns, der Sternenhimmel über uns--Kant!!!' (Beethovens Konversationsbucheintrag von 1820).

Vielleicht ist es jedoch am empfehlenswertesten, Beethovens geistige Entwicklung immer wieder im geistigen Ausdruck der Werke aller seiner Schaffensperioden zu studieren.  


Als Nachtrag hier noch einige Zitate aus Beethovens Briefen, die zum einen sein Interesse an der Literatur, zum anderen aber auch seine "praktische Anwendung" derselben wiederspiegeln:

"An Breitkopf & Härtel

Wien, am 8ten August 1809

. . . - Vielleicht könnten Sie mir eine Ausgabe von Goethes und Schillers vollständigen Werken zukommen lassen, - . . . Die zwei Dichter sind meine Lieblingsdichter so wie Ossian, Homer, welchen letzteren ich leider nur in Übersetzungen lesen kann. . . ." (Schmidt, Beethoven=Briefe: 64).


"An Therese Malfatti [1810]

' . . . Haben Sie Goethes Wilhelm Meister gelesen, den von Schlegel übersetzten Shakespeare? Auf dem Lande hat man so viele Muße, es wird Ihnen vielleicht angenehm sein, wenn ich Ihnen diese Werke schicke . . . '" (Beethoven In Briefen und Lebensdokumentsn. Reclam: 164).


Etwa aus dieser Zeit an Franz von Brunswick:

"--O unseliges Dekret, verführerisch wie eine Sirene, wofür ich mir hätte die Ohren mit Wachs verstopfen lassen sollen und mich festbinden, um nicht zu unterschreiben, wie Ulysses" (Schmidt, Beethoven=Briefe: 63).


An Bettina Brentano:

"Wien, am 10ten Februar 1811

 . . . --Wie Sie sich in Berlin in Ansehung des Weltgeschmeißes finden, könnte ich mir denken, wenn ich's nicht von Ihnen gelesen hätte: Reden, Schwätzen über Kunst, ohne Taten!!!!! Die beste Bezeichnung hierüber findet sich in Schillers Gedicht "Die Flüsse", wo die Spree spricht.-- . . . " (Schmidt, Beethoven= Briefe: 67- 68).


An Goethe:

"Wien, am 12ten April 1811.

Euer Excellenz!

Nur einen Augenblick Zeit gewährt mir die dringende Gelegenheit, in der sich ein Freund von mir, ein großer Verehrer von Ihnen (wie auch ich), von hier so schnell entfernt, Ihnen für die lange Zeit, daß ich Sie kenne (denn seit meiner Kindheit kenne ich Sie), zu danken--das ist so wenig für so viel.--Bettine Brentano hat mich versichert, daß Sie mich gütig, ja sogar freundschaftlich aufnehmen würden; wie könnte ich aber an eine solche Aufnahme denken, indem ich nur imstande bin, Ihnen mit der größten Ehrerbietung, mit einem unaussprechlichen tiefen Gefühl für Ihre herrlichen Schöpfungen zu nahen.--Sie werden nächstens die Musik zu Egmont von Leipzig durch Breitkopf und Härtel erhalten, diesen herrlichen Egmont, den ich, indem ich ihn ebenso warm, als ich ihn gelesen, wieder durch Sie gedacht, gefühlt und in Musik gegeben habe.--Ich wünsche sehr, Ihr Urteil darüber zu wissen, auch der Tadel wird mir für mich und meine Kunst ersprießlich sein und so gern wie das größte Lob aufgenommen werden.--

Euer Excellenz großer Verehrer Ludwig van Beethoven" (Schmidt, Beethoven=Briefe: 69/70).

"Baden, am 24. August 1825

Bestes Mahaoni-Holz!

...Gleichgültig dagegen, welcher Höllenhund mein Gehirn beleckt oder zernagt, da es nun schon einmal sein muß, nur daß die Antwort nicht zu lange ausbleibe, der Höllenhund in L[eipzig] kann warten und sich derweilen mit Mephistophiles, dem Redakteur der Leipziger Musikal. Zeit. in Auerbachs Keller unterhalten, welchen letzeren nächstens Belzebub, der oberste der Teufel, bei den Ohren nehmen wird...

Mit Liebe und Freundschaft der Ihrige

Beethoven" (Ludwig van Beethoven In Briefen und Lebensdokumenten.  Reclam: 71).


Nachdem wir erkundeten, in welchem Unfang "unser" Meisterkomponist an Literatur und Philosophie regen Anteil nahm, sollten wir vielleicht  als nächstes zu erkunden versuchen, was beide Männer in ihrer menschlichen, allzu-menschlichen Suche nach persönlichem Glück an der Seite einer Frau verband,  und zwar sowohl mittels des Links auf der Menüleiste als auch mit Hilfe des folgenden Links und wünschen Ihnen viel Vergnügen mit diesem Abschnitt!

Menschliches, Allzu Menschliches