Noch im selben Jahr soll Haydn laut Rosemarie Hughes Biographie
ein weiteres Streichquartett, op. 42, vorgelegt haben (Hughes: 222). Dazu kommentiert
Geiringer wie folgt:
"The next quartet, Op. 42 (Hob III:43) is a sort of
foreign body within the whole set of string quartets. The very terse construction of its
four movements induced Pohl and Sandberger to classify this composition as one of Haydn's
earlier works. Some details, however, such as the dramatic development of the first
and last movements, and the use of contrapuntal devices in the finale prove Op. 42
to be the product of a later period. Additional evidence is provided by the autograph
in the West-German Library, Marbug, which bears the date 1785. The work must certainly
be considered a composition of Haydn's maturity which--for unknown reasons--was conceived
in a particularly unassuming manner" (Geiringer:310; Geiringer führt hier aus, dass
op. 42 eine Art Fremdkörper im Streichquartettwerk Haydns darstellt und dass der sehr gebundene
Aufbau seiner vier Sätze Pohl und Sandberger dazu bewogen hatte anzunehmen, dass diese
Komposition eines von Haydns früheren Werken sei. Jedoch klassifizieren einige
Einzelheiten, wie z.B. die dramatische Entwicklung des ersten und letzten Satzes,
und der Gebrauch kontrapunktischer Mittel im Finale, dieses Werk als ein Produkt
aus Haydns reiferen Jahren. Einen zusätzlichen Beweis liefere die Originalschrift
in der Westdeutschen Bücherei in Marburg, die das Jahr 1785 trage. Somit müsse dieses
Werk als ein Werk Haydns aus seinen reiferen Jahren angesehen werden, das, aus welchen
Gründen auch immer, in einer sehr bescheidenen Weise angelegt war.)
Hier ist es vielleicht hilfreich, kurz auf die weitere Entwicklung
des Streichquartetts während der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Frankreich
einzugehen. Dort zeigten sich zwei Entwicklungen ab, nämlich die des quator
brillant, in dem die erste Violine beinahe als Soloinstrument wirkte, die
von der zweiten Violine, der Bratsche und dem Violoncello begleitet wurden.
Zu dieser Gattung lieferten die Komponisten Cambini, Dalayrac, Davaux, Fodor,
Gossec und Viotti ihre Beitrge. Die zweite Gattung, die sich in Frankreich als
Streichquartett herausbildete, war die des quator concertant, das in Paris
in den 1770er Jahren entstanden ist und sowohl von Cambini als auch Boccherini
mit vielen Beiträgen versorgt wurde. Grove zufolge soll Boccherini
hierin die Weiterentwicklung des Streichquartetts durch Haydn ganz ausser Acht
gelassen haben, obwohl auch die von Haydn in Paris erschienenen Streichquartette
als quotor concertant bezeichnet wurden.
In Bezug auf Mozarts weitere Streichquartette berichtet Greither,
dass nach den Streichquartetten von 1785 noch vier weitere folgten, und zwar KV499
als Einzelwerk im August 1786, und die drei König Friedrich Wilhelm II. von Preußen
gewidmeten Streichquartette, nämlich KV575 in D im Jahr 1789, und KV589 und KV590
im Jahr 1790.
Zu KV499 bemerkt Hans Renner in Reclams Kammermusikführer:
"Die Nähe des "Figaro" ist zu spüren in der
federnden Eleganz dieser phantasievollen Spielmsuik. Mozart gelant hier so etwas
wie ein Divertimento im Quartettstil" (Renner: 268).
Mozarts Berlinbesuch des Jahres 1789 war wohl der Anlass
der Widmung seiner
drei letzten Streichquartette an den cellospielenden König Friedrich Wilhelm II.
von Preußen und boten wohl auch dadurch Gelegenheit, das Cello hier und dort
solistisch hervortreten zu lassen. Greither bemerkt zu diesen Werken, dass
sie "die bei den Hadn gewidmeten Quartetten stark verwendete thematische
Arbeit" wieder zurückgetreten sei und "alles fließt freier, improvisierter
(oder man merkt ihm die Arbeit weniger an" (Greither: 118 - 119), während
Grove dazu bemerkt, dass Mozart in diesen Werken auch Einflüsse des
quator brillant und des quator concertant zu kombinieren
wusste (Grove: 280).
Diese letzten Streichquartette Mozarts, die dem
Cellofreund König Friedrich Wilhelm II. von Preußen gewidmet waren,
bieten einen ausgezeichneten Anknüpfungspunkt an Haydns Streichquartette
op. 50, die 1787 demselben Herrscher gewidmet waren und in Wien bei
Artaria erschienen, jedoch bereits von 1784 bis 1787
entstanden sind. Laut Renner sollen sich diese formal nicht wesentlich von
den "russischen" Quartetten op. 33 unterscheiden, aber nunmehr eine geschmeidigere Sprache
sprechen (Renner: 206). Auch Geiringer führt dazu aus, dass "the thematic elaboration
employed in Op. 33 is continued" (Geiringer: 310; demnach sei die in op. 33 angewendete
thematische Ausarbeitung in op. 50 fortgesetzt worden.) Geiringer führt weiter aus,
dass:
"He was eager to concentrate his compositions not
only by using thematic elaboration, but also by letting a whole movement unfold
from a single germ" (Geiringer: 311; Haydn soll demnach beflissen gewesen sein,
seine Kompositionen nicht nur durch die thematische Ausarbeitung konzentrierter
werden zu lassen, sondern auch dadurch, dass sich ein ganzer Satz aus einer
einzigen Keimzelle entwickelte.)
Auch die 1789 verlegten Streichquartette, op. 54 und 55
weisen laut Geiringer ebenfalls wieder diese Tendenz auf (Geiringer: 312).
Geiringer nimmt an, dass diese und die folgenden sechs Streichquartette, op.
64 aus dem Jahr 1790 Johann Tost gewidmet waren und führt aus, dass die
Kühnheit und Vielfalt, die in diesen Werken zum Ausdruck komme, Haydn
auf der Höhe seiner Quartettproduktion zeige.
Nach seiner Ankunft in Wien im November 1792 hatte
Beethoven vielleicht auch Gelegenheit, Haydns Schaffen an seiner nächsten
Quartettreihe, op. 71 und 74, die er 1793 in Angriff nahm und Graf Apponyi
widmete, zu beobachten. Zu diesen bemerkt Renner:
"Die je drei Quartette der Werkgruppen 71 und 74
sind dem ungarischen Grafen Apponyi gewidmet. Sie entstanden
bis 1793, also zur Zeit von Haydns Londoner Reisen. Die meisen Londoner
Sinfonien lagen damals bereits vor. Sie hatten Haydn Triumphe ohnegleichen
eingebracht. Das steigerte sein Selbstbewußtsein. Man spürt es an diesen
Quartetten. Ein Zug ins Grandseigneurhafte ist ihnen zu eigen. Die Themen
haben bisweilen sinfonischen Zuschnitt, das Satzbild wirkt zumeist einfach.
Al-fresco-Wirkungen ergeben sich" (Renner: 221).
Ob nun diese Quartette alle erst 1793 oder, wie Renner
meint, "bis 1793" entstanden sind, bemerkt auch Geiringer dazu, dass Haydn
sie zu einer Zeit schrieb, in der er sehr an "orchestral composition" interessiert
gewesen sei und "they accordingly display a certain symphonic character" (Geiringer:
345). Bemerkentswert an diesen Werken seien die Einführungen zum jeweils ersten
Satz, eine musikalische Gewohnheit, der Haydn auch in seinen Symphonien frönte.
Für uns ist hier wohl von Bedeutung, dass die Vollendung
dieser Werke genau in Beethovens erstes Wiener Jahr fallen, in dem sich sein
Lehrer Haydn zwischen seiner ersten und zweiten Londonreise befand, wohl
sehr mit seinen Vorbereitungen auf seine zweite Reise beschäftigt war und
daher wohl auch nicht als strenger, konsequenter Kontrapunktlehrer Beethovens
auftrat, eine Tatsache, die wir ja mit all ihren Begleiterscheinungen
wie der heimlichen Korrekturhilfe durch den Komponisten Schenk, bereits aus
unseren Biographischen Seiten kennen. Auch ist hier abschließend
festzustellen, dass Haydn durch seine zweite Englandreise im Jahr 1794
seinen Lehrerposten bei Beethoven an Albrechtsberger abtrat und sich
zumindest vorübergehend aus Beethovens Gesichtskreis entfernte.
Dieser Einschnitt bietet uns wohl Gelegenheit, unsere
kleine Vorgeschichte der Entwicklung des Streichquartetts bis zu Beethoven
abzuschließen und uns der Entstehungsgeschichte der ersten Gruppe
von Beethovens Streichquartetten, op. 18, zuzuwenden.
Quellen:
Chronologisch-thematisches Verzeichnis sämtlicher Tonwerke Wolfgang Amade Mozarts.
Von Dr. Ludwig Ritter von Köchel. Dritte Auflage bearbeitet von Alfred Einstein.
Ann Arbor, Michigan, 1947: Verlag von J.W. Edwards.
Geiringer, Karl, Haydn. A Creative Life in Music. 2nd Ed. London, 1964:
George Allen & Unwin Ltd.
Greither, Aloys, Mozart (Ro-Ro-Ro Monographien). Reinbek bei Hamburg, 1952:
Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH.
Hildesheimer, Wolfgang, Mozart. Translated from the German by Marion Faber.
New York, 1991: The Noonday Press.
HUFNER, Martin. Ludwig van Beethoven. Streichquartette op. 18. Huflaikhan
Die Welt der Gegenwartskulturen, 1997. {Zuletzt aktualisiert:
20.08.99], {Zitiert: 15. September 2000].S. 1 - 4. Erhältlich aus
dem Internet:
"http://www.nmz.de/huflaikhan/musik/beeth18.htm".
Hughes, Rosemary. Haydn. The Master Musicians Series. London, 1974:
J.M. Dent & Sons Ltd.
DIE OFFIZIELLE WEBSITE DER ÖSTERREICH-WERBUNG: BERÜHMTE PERSONEN: MUSIC
MASTERS - JOSEPH HAYDN. Joseph Haydn - Der Erfinder des Streichquartetts.
[Wissenschaftliche Leitung: Mag. Zsigmund Kokits.[Zitiert: 15. September
2000] Erhältlich aus dem Internet:
"http://www.austria-tourism.at/index.html.de"
und
http://austria-tousism.at/personen/haydn/11hay.html".
Reclams Kammermusikführer von Hans Renner. Vierte Auflage. Stuttgart, 1959 und
1962: Philipp Reclam Jun.
The Letters of Mozart and His Family. Chronologically arranged, translated and
edited with an Introduction, Notes and Indexes by Emily Anderson.
Volume II. New York, 1966: St. Martin's Press.
The New Grove Dictionary of Music and Musicians. Edited by Stanley Sadie.
Vol. 18. London, 1980: Macmillan Publishers.
"Zur Geschichte des Streichquartetts". Sendung des Bayerischen Rundfunks am
23. September 2000, um 15 Uhr. (Inhalt freundlicherweise von Helmut Walther,
Nürnberg, übermittelt).