Wer schrieb dieses bekannte, einschmeichelnde Andante Cantabile wirklich?
Lesen Sie mehr darüber in dieser Entstehungsgeschichte!


EINE KLEINE ENTSTEHUNGSGESCHICHTE DES STREICHQUARTETTS BIS ZU BEETHOVEN



Einleitung

Wenn wir die Anzahl der dem Streichquartett seinen Namen verleihenden Instrumente bedenken, fragen wir uns vielleicht: Was hat Musiker und Komponisten wohl dazu veranlasst, ausgerechnet vier Instrumente für diese neue Kompositionsgattung zu wählen? Auf diese Frage erhielt ich durch mein Bekanntwerden mit dem Inhalt einer sehr interessanten Sendung zur Geschichte des Streichquartetts, die der Bayerische Rundfunk am 23. September 2000 um 15 Uhr ausstrahlte, einige interessante Antworten. Es wurde auf den Symbolgehalt und auf die Anwendung der Zahl Vier in der Musiktradition hingewiesen. Die Symbolik verweist z.B. auf die vier Naturelemente (Erde, Feuer, Luft und Wasser), auf die vier menschlichen Temperamente (des Cholerikers, Melancholikers, Phlegmatikers und Sanguinikers), auf die vier Himmelsrichtungen und viele andere symbolische "Viergespanne", während die musikalische Tradition andere "Vierergruppen", nämlich z.B. die vier Stimmlagen (Sopran, Alt, Tenor und Bass) oder den vierstimmigen Satz aufweist.

Diese interessanten Hinweise bieten einige mögliche Antworten auf diese erste Frage. Jedoch nagen an diesem neugierigen Laienforschungsgeist eine Reihe weiterer Fragen zum Thema der Geschichte des Streichquartetts, die man wohl der Einfachheit halber in die folgende "Fünfergruppe" einordnen könnte: Wer, was, wo, wann und wie. Um diesem Nagen Einahlt zu gebieten, aber auch zu Ihrer möglichst umfassenden Information möchte ich nachfolgend versuchen, einige Antworten auf diese weiteren Fragen zu finden.

Erste Spuren

Auf dieser Suche warf sich mir zuallererst die Frage auf, wie weit die allerersten Ansätze der Entwicklung des Streichquartetts zurückgehen.  Dazu möchte ich Ihnen ganz offen und lebendig schildern, wie ich diesen Spuren nachging.

Von der Voraussetzung ausgehend, dass Franz  Joseph Haydn wohl derjenige Komponist war, der das Streichquartett durch seine Weiterentwicklung aller möglichen ersten Ansätze in der Zeit von etwa 1755 bis Mitte der 1780er Jahre zum  "klassischen Streichquartetts" machte, rüstete ich mich für diese kleine Beschreibung neben dem Überblick dazu in "The New Grove Dictionary of Music and Musicians" (von Stanley Sadie herausgegeben und 1980 erschienen) und anderen Quellen auch mit Geiringers  Biographie Haydn. A Creative Life in Music. (2nd Ed., London: 1964: George Allen & Unwin Ltd.)  aus und bin aus einem ganz besonderen Grund froh, dass ich das tat.  Der Grund dafür ist, dass "Grove" mit der Geschichte des Streichquartetts am Anfang des 18. Jahrhunderts ansetzt,--worauf wir hier noch später eingehen werden-während Karl Geiringer darauf hinweist, dass:

"The author has attempted to prove (10) that the origin of the string quartet is to be found in the four-part instrumental compositions by Austrian and German composers of the early seventeenth century, such as works by Peuerl, Posch, Schein, Hausmann, Franck, and Staden" (Geiringer: 229; Geiringer schreibt hier, dass er anderweitig [in Fussnote 10 ist dazu "Paul Peuerl" in Studien zur Musikwissenschaft, Vol. XVI, und ein Vortrag der Musicological Society in New York im Jahre 1943 angemerkt] zu beweisen versuchte, dass der Ursprung des Streichquartetts in den vierteiligen Instrumentalkompositionen österreichischer und deutscher Komponisten des frühen siebzehnten Jahrhunderts, wie den Werken von Peuerl, Posch, Schein, Hausmann, Franck und Staden zu finden sei.)

Woher jene deutschen und österreichischen Komponisten des frühen 17. Jahrhunderts ihrerseits wieder die Anregung dazu erhielten, wird aus Geiringers Haydn-Biographie selbst nicht ersichtlich und würde daher weitere Nachforschungen erfordern. Auch ist mir nicht klar, warum "Grove" diese frühesten Anfänge dieser Kompositionsgattung nicht in den Streichquartettüberblick mit einbezog, und sei es auch, um der wissenschaftlichen Genauigkeit genüge zu leisten, nur als Ursprungsmöglichkeit im Gegensatz zu einer 100% gesicherten Tatsache. Alles, war wir hier dazu bemerken können, ist die Möglichkeit dieses Ursprungs, verbunden mit unserer Bereitschaft für Offenheit in Bezug auf neuere Forschungsergebnisse, die Geiringers Vermutung entweder bestätigen, relativieren, oder ganz widerlegen.

Aufmerksamen Beobachtern wird nicht entgehen, dass die allgemeine kulturelle mittel- und südeuropäische Entwicklung des ausgehenden 16. und des beginnenden 17. Jahrhunderts von vielerlei Einflüssen geprägt war, nämlich zum Einen noch durch die traditionelle, im Mittelalter sehr wichtige Handelsverbindung zwischen Italien und Süddeutschland, deren wirtschaftliche Bedeutung gerade zu dieser Zeit zu verblassen begann, während auf der anderen Seite viele fruchtbare Anregungen auf allen Gebieten der Kunst den Süden Deutschlands von Italien her erreichten, also auch auf dem der Musik. In einem solchen Klima erscheint die von Geiringer postulierte Erstentwicklung der Urform des Streichquartetts in Süddeutschland und Österreich durchaus möglich, aber auch das plötzliche Stocken in dieser Entwicklung, wie es hier aufgezeigt werden wird. Dieses Stocken mag nicht zuletzt auf den Beginn des 30-jhrigen Kriegs zurckzuführen sein.

Geiringer führt nämlich weiter aus, dass diese Kompositionen eindeutig für Streicher geschrieben wurden, dass das thematische Material unter den vier Teilen gleichmässig verteilt gewesen sei und auf einfachem, fast volksliedhaftem thematischen Material basierte. Jedoch sei diese Kompositionsform um 1620 durch die Degeneration der Tenorstimme, die der Viola zugeordnet wurde, in eine Triosonate umgeformt worden, die aus zwei Violinen und dem bezifferten Bass oder Generalbass bestand, der vom Violoncello und einem Tasteninstrument, das Akkorde improvisierte, die die Lücke zwischen den hellen Streichern und dem Bass schließen sollten, ausgeführt wurde.  Aus diesem Grunde, so Geiringer, könne diese Triosonate als eine Art Tasteninstrumentquartett betrachtet werden.

Das Streichquartett in der ersten Hälfte des 18. Jahrunderts, bis 1740

Für ein gutes Jahrhundert habe sich dann diese Triosonate als Hauptkammermusikform erhalten, für die alle großen Barockmeister wie Corelli, Purcell, Handel und Bach Stücke geschrieben haben. Am Anfang des achtzehnten Jahrhunderts sei diese Kompositionsform dann jedoch wieder in den Hintergrund gedrängt worden. In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts entwickelten sich streichquartettähnliche Kompositionsformen sowohl in Italien, Frankreich und Norddeutschland.

In Italien leistete Antonio Scarlatti mit seinen sonate a quattro zwischen 1715 und 1725 Pionierarbeit, in denen laut Grove eine gute Balance zwischen den vier Streichinstrumenten erzielt wurde, und Geiringer beschreibt sie als wirkliche Streichquartette, in denen das Tasteninstrument durch die Viola ersetzt wurde. Laut Grove soll dann nach ihm auch Galuppi (um etwa 1740) das Continuo durch das Violoncello als Bassinstrument ersetzt haben.

 


Alessandro Scarlatti


Neben Scarlatti erwähnt Grove als italienische Pioniere auch noch G. B. Sammartini, Tartini und andere, und zwar in Bezug auf deren Entwicklung von Streichquartettkompositionen aus der italienischen sinfonia und aus der sonata a chiesa. In Sammartinis Streichquartetten dominierte laut Grove die erste Violine. Sie wurden für die Entwicklung des Streichquartetts durch ihre elegante, fast schon klassische Melodienführung von Bedeutung und sollen später auch auf den jungen Mozart Einfluss ausgeübt haben.

 


G.B. Sammartini


In Frankreich entwickelten sich streichquartettähnliche Kompositionsformen, die sonates en quator (unter Verwendung von 3 violins und einem basse continue) auch in Airs, Opernmelodien, Ouvertüren und in der ouverture reduite en quator, waren aber im Stil dem Barock noch sehr verbunden.

Auch in Norddeutschland fand eine ähnliche Entwicklung durch die sonate a quatto Telemanns, J. G. Grauns und Faschs statt. Diese Werke seien aber auch noch sehr stark dem Barock verpflichtet gewesen.

Die Übergangszeit von 1740 bis 1755

 


Luigi Boccherini


Obwohl sich die Anfänge streichquartettähnlicher Werke in Frankreich vor allem durch den Einfluss der italienischen Emigranten Boccherini und Gambini in die Richtung des eigentlichen Streichquaretts entwickelten, erhielt das klassiche Streichquartett seinen Entwicklungsimpetus hauptsächlich in Süddeutschland, Österreich und Böhmen, und zwar durch die Quartettsymphonien der Mannheimer Schule mit J.W.A. Stamitz, F.X. Richter, Holzbauer, Filz, C. Cannabich und Eichner, und in den Divertimenti populäreren Charakters durch Komponisten wie Asplmayr, Camerloher, Starzer, Gassmann und Franz Joseph Haydn. In seinem interessanten Artikel zu Beethovens op. 18 weiss Martin Hufner (nmz, 1977, dessen Internetversion entnommen) zu berichten, dass  sich Haydns Werke im Gegensatz zu denen Boccherinis in Frankreich "wirkungsgeschichtlich durchgesetzt haben", was wohl nicht zuletzt "an der spezifischen Entwicklung der bürgerlichen Musikkultur in Zentraleuropa, besonders in Wien" (Hufner: Internet-Artikel) lag.

Das Streichquartett in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts

Ein frühes Beispiel jener sich entwickelnden österreichisch-ungarischen Musikkultur ist wohl auch Haydns Aufenthalt in Weinzierl  an der Donau (nicht weit von Melk entfernt) in den Jahren 1755 und 1756, wohin der Baron von Fürnberg ihn eingeladen hatte und ihn damit aus den Diensten des Sängers Propora betreit hatte. In Weinzierl gesellten sich zum damals 23-jährigen Haydn, dessen Karriere noch in ihren allerersten Anfängen steckte, Fürnbergs Verwalter, der Dorfpfarrer und ein Musiker namens Albrechtsberger (der von der Haydn-Biographin Rosemarie Hughes möglicherweise als Beethovens späterer Lehrer Johann Georg Albrechtsberger beschrieben wurde, vom Bayerischen Rundfunk aber als Anton Albrechtsberger, vermutlicherwise der Bruder des Wiener Komponisten und Kontrapunktlehrers von Beethoven) zum Musizieren. In diesem Ad-Hoc-Streichquartettensemble spielten der Verwalter und der Pfarrer die Violine, Haydn die Bratsche und Albrechtsberger das Violoncello, und es wahr wohl dieses Ensemble, für das Haydn aus Mangel an anderem vorhandenen Material seine ersten Streichquartette, op. 1, Nr. 1 - 6, schrieb.

 


Joseph Haydn
in den 1760iger Jahren
in seiner Livree als Hofmusiker
des Fürsten Esterhazy


Zum Inhalt dieser, aber auch der weiteren ersten Streichquartette aus der Zeit bis 1759, nämlich op. 2, Nr. 1 - 6, erwähnt Hufner, dass dieser überwiegend aus spielhaften, vergnüglichen Elemenben bestehe. Geiringer führt hierzu aus, dass die Anordnung der Sätze sehr ausgeglichen und symmetrisch sei, und dass deren Inhalt sehr einfach und heiter sei, mit einer Vorliebe für Motive aus dem österreichischen Volkslied. Die einzige Ausnahme hierzu bilde das Adagio von op. 2, Nr. 4, dessen leidenschaftliche Innigkeit eher and die norddeutsche Kunst C.P.E. Bachs erinnere (Geiringer: 232-233).

Dieser Hinweis Geiringers deckt sich dann insofern wieder mit dem, was in der bereits erwähnten Sendung des Bayerischen Rundfunks vom 23. September 2000 zum Ausdruck kam, nämlich, das Haydn sich selbst später nicht als den "Vater" des klassichen Streichquartetts sah, sondern seine eigene ernsthafte Beschäftigung damit auf den Einfluss dieses Bach-Sohns zurückführte.

 


C.P.E. Bach, Mitte
im Gesprch mit dem Hamburger
Pastor Christoph Christian Sturm
, rechts


Owohl 1756 als Geburtsjahr Wolfgang Amadeus Mozarts zu verzeichnen ist, können und müssen wir die "zweigleisige" Verfolgung der Entwicklung des Streichquartetts durch Haydn und Mozart noch etwas hinausschieben, da Mozart den warmen Klang der von im als Kind so geliebten "Buttergeige" erst kennenlernen würde, um vielleicht nicht zuletzt dadurch, aber auch durch die große Violinfachkenntnis seines Vaters Leopold, des Verfassers der "Violinschule", seine Feinfühligkeit für Streichinstrumente zu entwickeln.

 


Leopold Mozart auf der
Titelseite seiner "Violinschule"


Kehren wir hier daher zum Streichquartettvaterschaftsverweigerer Haydn zurück. Spätestens mit seiner Eheschließung am 26. November 1760 mit seinem "Trostpreis" Anna Maria Keller (die eigentlich angebetete jüngere Schwester trat ins Kloster ein) begann für den 28-jährigen Haydn wohl auch der Ernst des Lebens, der ihm aber im Gegensatz zu seinem schwierigen Lebensbund ab 1761 auch beinahe dreissig fruchtbare Schaffensjahre im Dienst des Fürsten Esterhazy bescherte. Wenn wir noch einhellig der Meinung sein könnten, dass die sechs Streichquartette, die als Haydns op. 3, Hob III_13 - 18 in die Musikgeschichte eingegangen sind, wirklich von ihm stammen, dann  müssten wir uns den Vermutungen der traditionellen Haydnforschung anschliessen, dass sie um diese Zeit entstanden.   Zwar nahm der Haydnschüler Ignaz Pleyel diese Werke in the thematische Liste seiner Ausgabe der Haydn-Werke von 1802 auf (hier stelle ich mir die Frage, ob man sich wohl den Haydn-Schüler Beethoven als Sachwalter der Werke seines "Lehrers" Haydn vorstellen könnte), nachdem Haydn diese genehmigt hatte, und sie wurden auch 1805 in den Haydn-Elssler-Katalog aufgenommen, und doch bestanden aufgrund der Abwesenheit früher Spuren dieses Werks und aufgrund seiner späten Veröffentlichung durch Bailleux in Paris im Jahr 1777 Zweifel in Bezug auf ihre Echtheit.  Sogar Geiringer, der diese "Haydn-Werke" diesen Zweifeln noch nicht preisgeben wollte, weist auf einen Artikel von L. Sonfai in Haydn Emlekere. Zenetudomanyi Tanul manyok, VIII (Budapest, 1960), hin.  Als Gegenargument weist er gerade auf Haydns Genehmigung der Aufnahme in die Pleyel-Ausgabe hin.  Wenn wir, als Beethovenfreunde, uns jedoch zwei Beethoven betreffende Geschehnisse zwischen ihm und Haydn vor Augen halten, nämlich Haydns mangelnde Strenge als Kontrapunktlehrer und die peinliche Situation, in der Beethoven Haydn einige seine Werke übergab, die dieser Kurfürst Maximilian Franz als neue Werke Beethovens nach Bonn schickte, von Max Franz aber darüber aufgeklärt wurde, dass es sich um bereits in Bonn entstandene Werke handele, wird uns auch als grosszügigen Verfolgern dieser Ereignisse klar, dass Haydn in seiner Schaffensperiode als freier Künstler von 1790 bis zu seiner Erkrankung im Jahr 1803, also im Alter von 58 bis 71 Jahren, ein für diesen Lebensabschnitt ausserordentlich aktiver Künstler in eigenen Sachen war, dem man es kaum zum Vorwurf machen kann, dass er nicht auch noch die Energie  dazu aufbrachte, einen strengen Lehrer abzugeben, sich über die wohl mit wenigen Worten übergebenen Werke seines Schülers Beethoven nicht genauere Auskunft einhgeholt zu haben oder gar im Alter von 70 Jahren noch alle seiner frühen Werke genauestens in Erinnerung behalten zu haben.

Wer soll nun aber diese sechs Streichquartette, aus dessen fünften Werk Sie hier den zweiten Satz, das berühmte Andante Cantabile, als Midi-File hören, geschrieben haben? Hierzu zitiere ich die Haydn-Biographin Rosemarie Hughes:

"Now it has been convincingly argued that their composer was not Haydn at all but a Benedictine monk from Amorbach in the Odenwald, Father Romanus Hofstetter" (Hughes: 154; Hughes führt hier aus, dass inzwischen überzeugend dargelegt worden sei, dass der Komponist nicht Haydn, sondern ein Benediktinermönch aus Amorbach im Odenwald, Pater Roman Hofstetter, gewesen sei. Sie führt hierzu als Quelle an: "Who composed Haydn's Op. 3?", von Alan Tyson und H.G. Robbins Landon (Musical Times, Juli 1964).

Selbst die österreichische Touristikwebsite (http://austria- tourism.at/personen/haydn/11hay.html, am 24. September 2000 eingesehen) vermeldet hierzu:

"Seine Quartette wurden in Österreich schnell verbreitet, schon wenige Jahre nach ihrer Entstehung kursierten ihre Abschriften in österreichischen Klöstern.  So nimmt nicht wunder, daß ein Mönch aus Ambrach namens Roman Hofstetter seine nach Haydn'schem Vorbild komponierten Quartette als dessen "Opus 3" veröffentlichen ließ..."

Zum Bekanntheitsgrad der frühen Haydn'schen Streichquartette kann auch wiederum aus Hughes berichtet werden, dass aus dessen op. 2 fünf Quartette zusammen mit einer Cassation als Symphonies ou Quators dialogues 1764 in Paris veröffentlich wurden, und dass seine sechs Streichquartette, op. 9, 1769 veröffentlicht wurden.

Während es unter diesen Umständen völlig bei Ihnen liegt, ob sie diese Forschungsergebnisse für wichtiger erachten als dieses "haydn'sche Hofstetter- Werk", bleibt uns nach wie vor das Vergnügen, diese Quartette als zumindest durch Haydn beeinflusste, charmante Vertreter ihrer Gattung aus der "galanten Zeit" mit Genuss anzuhören. In diesem Geist sind sie hier auch als Hörbeispiele angeboten.

"Haydn" op. 3, Nr. 5, Erster Satz: Ausschnitt
Wave-Datei


"Haydn" op. 3, Nr. 5, Zweiter Satz: Ausschnitt
(Andante Cantabile)
Wave-Datei

Die nächste Serie seiner unumstrittenen eigenen Quartette bringt uns ans Ende der 1760iger Jahre, mit op. 9, nr. 1 - 6 (Hob III: 19 - 24), die 1769 bis 1770 entstanden und auch zu dieser Zeit bereits verlegt wurden (nach Hughes bereits 1769). Laut Grove betrachtete Haydn später diese sechs nunmehr aus jeweils vier Sätzen bestehenden Quartette als den Anfang seiner eigentlichen Streichquartette, wobei auf die ebenmässige Textur in allen vier Stimmen und den nunmehr sehr ausgeprägten Diskurs zwischen Thema und Motiv hingewiesen wird, was sich wiederum mit Geiringers Ausführungen deckt, der darauf hinweist, dass die Entwicklung nun eine grössere Rolle spielte und sich daher die Themenwahl auch subtiler und entwicklungsfähiger gestaltete, und mehr Innigkeit und Gefühl zum Ausdruck gelangte. Auch habe Haydn hier dem ersten Violinpart mehr Brillianz verliehen (Geiringer: 250 - 251). Obwohl, so Grove die Werke anderer mitteleuropäischer Komponisten in diesem Jahrzehnt, wie die Richters, Starzers, Holzbauers und F.X. Duseks ähnliche Tendenzen aufwiesen, reichten diese in ihrer Ausdrucksfähigkeit nicht an die Haydn'schen Werke von 1769/70 heran.

Wie Grove berichtet, wurde in den frühen 1770iger Jahren die Weiterentwicklung des Streichquartetts von zwei Gegenpolen beherrscht, nämlich von konzertanten Elementen in den reich ornamentierten langsamen Sätzen, und vom Einbezug fugaler Elemente, wie z.B. in Monns Quartetten, die diese Entwicklung aus dem polyphonen zweiten Satz der sonata da chiesa übernommen hätten, aber auch in den Werken von Kraus, Albrechtsberger (mit seinen sechs quators en fugue), Michael Haydn, Wagenseil und anderen, wie z.B. Leopold Gassmanns Quartetti, deren dritter Satz fugale Elemente aufwies. In Haydns op. 17 (Hob III: 25 - 30) aus dem Jahr 1771 sieht Geiringer wiederum dessen enge musikalische Verwandtschaft zu C.P.E. Bach zum Ausdruck kommen in seinem offensichtlichen Bemühen, seinen Quartetten mehr Solidität und Konzentration zu verleihen, und dieses Bemühen habe sich im folgenden op. 20, dem sogenannten Sonnenquartett von 1772 noch verstärkt (Geiringer: 277 - 27), während Grove auf Haydns wohl sehr bewusste Anwendung der Fuge in diesem Werk hinweist, die ihm dabei geholfen haben soll, diejenigen Charakteristiken des Streichquartetts weiterzuentwickeln, die aus ihm dann wirklich das Streichquartett im eigentlichen Sinne machen würden, nämlich die Freiheit der Bassstimme in Bezug auf Melodik und Kontrapunkt, aber auch der Weiterentwicklung der Idee, dass das Streichquartett sich nicht den homophonen Erfordernissen der galanten Zeit (des Rokoko) beugen sollte.

 


Mozart in Verona, Januar 1770,
im Alter von knapp 14 Jahren
Ölbild von Saverio dalla Rosa


Genau zu diesem Zeitpunkt beginnt unsere zumindest zweigleisige Betrachtung der weiteren Entwicklung des Streichquartetts bis zu Beethoven, da der erst siebzehnjährige Mozart, der die Jahre 1769 bis 1773 meistens mit seinem Vater Leopold auf drei Italienreisen verbrachte. Auf der letzten dieser Reisen, vom 24. Oktober 1772 bis zum 13. März 1773, nachdem er sich bereits in seinen früher entstandenen, dreisätzigen Divertimenti KV 136 - 138 (die jedoch laut Greither wirklich nur als "Streicherouvertüren" im italienischen Stil zu betrachten sind), schrieb er wohl im Winter 1772/73 zuerst in Bozen, aber hauptsächlich in Mailand, seine sogenannten Mailänder Streichquartette, KV 155 - 160 sowie KV 80. In diesen Werken soll Mozart trotz der noch vorhandenen sinfonischen und orchestralen Züge durch die Besetzung mit 2 Violinen, Bratsche und Cello anstatt Violinen, Cello und Bass und durch die Auflockerung einzelner Sätze einen wesentlichen Schritt in die Richtung des eigentlichen Streichquartetts getan haben (Greither, Mozart: 24, 116) und laut Grove in KV 155 - 160 wesentlich von G.B. Sammartini beeinflusst worden sein. Die unmittelbar danach während seines Aufenthalts in Wien vom 14. Juli bis 26. September 1773 entstandenen Wiener Quartette, die laut Greither wiederum "ein gutes Stck weiterenwickelt" (Greither: 117) sind, stehen laut Greither und Grove bereits unter dem Einfluss von Haydns Quartetten op. 17 und 20, standen aber Grove zufolge auch noch unter dem Einfluss von "Ordonez and much lesser figures" (Grove 18: 270; also demnach dem Einfluss von Ordonez und Geringeren).

 


Auflistung von KV 156 im Köchelverzeichnis
(Siehe "Quellen")


Neun Jahre intensiver Opernkompositionstätigkeit im Dienst Fürst Esterhazys, nicht zuletzt mit dem zufriedenen Besuch und Gegenbesuch Kaiserin Maria Theresias gekrönt (ihr Ausspruch dazu: "Wenn ich eine gute Oper hören will, gehe ich nach Esterhaza") liegen zwischen dem Sonnenquartett op. 20 und dem nächsten Satz Haydn'scher Streichquartette aus dem Jahr 1781, in dem  Grossherzog Paul von Russland Wien besuchte, Haydn dort Freundschaft mit Clementi schloss und dann die Streichquartette op. 33 Hob. III_37-42), die er seiner eigenen Aussage nach "in a new and special way" (Grove: 278, also auf eine ganz neue, besondere Art) angelegt hatte, jenem Grossherzog von Russland widmete. Sie gingen daher auch als "russische Quartette" in die Musikgeschichte ein. Zitieren wir dazu, was Grove zum Anfang des ersten Satzes zu sagen hat:

"The opening of the development section of the first movement of op. 33 no 2 is a model of lucid thinking in four parts of a kind perhaps only to be realized after the fugal experiment of op. 20" (Grove 18: 279; hier wird ausgedrückt, dass der Anfang der Entwicklung im ersten Satz von op. 33, Nr. 2 ein Vorbild klaren Denkens in vier Teilen sei, das vielleicht nur nach den fugalen Experimenten in op. 20 möglich war).

Hören Sie sich doch hier den Anfang des ersten Satzes von op. 33, Nr. 2 an und studieren Sie dazu die ebenfalls abgebildeten Noten:
 


Der Anfang des "Allegro Moderato", op. 33, Nr. 2



Hier auch noch ein Ausschnitt aus dem dritten Satz
von op. 33, Nr. 2


Der Unterschied zwischen dem Haydn nachempfundenen "op.3" und diesem Werk wird auch uns Laien beim Zuhören auffallen. Geiringer führt aus, dass in diesen Werken die thematische Ausarbeitung zum Hauptstilelement erhoben wurde und mit konsequenter Logik durchgeführt wurde. Desweiteren berichtet er dazu, dass:

"The synthesis of the homphonic rococo style with the contrapuntal idiom noticeable in the form of these quartets also may be discerned in their contents. Without avoiding the earlier grace and liveliness, they reveal greater depth of feeling. The last traces of galant superficiality have disappeared, and the music brethes quiet serenity and classical nobility" (Geiringer: 309; demnach soll hier eine Synthese zwischen dem homophonen Rokokostil und dem Kontrapunktidiom stattgefunden haben, und dass diese Werke, ohne die frühere Grazie und Lebendigkeit zu verlieren, eine grössere Gefühlstiefe aufweisen, in der die letzten Spuren der galanten Oberflächlichkeit verschwunden seien und die Musik somit stille Heiterkeit und klassische Vornehmheit ausstrahle).

Wen nimmt es dann Wunder, dass Mozart, der 1781 in Wien mit Haydn Freundschaft schloss, sich durch diese Streichquartette angeregt fand, seine erste Folge von zwar durch Haydn angeregten, jedoch ihnen nun auch ebenbürtigen eigenen Streichquartetten, KV 387, 421/417b, 428/421b, 458, 464 und 465 zu schreiben, und zwar in den Jahren 1782 bis 1785. Rosemarie Hughes Haydn-Biographie notiert für das Jahr 1784 ein gemeinsames Kammermusizieren Haydns und Mozarts mit Dittersdorf und Wanhal in der Residenz von Stephen Storace, also ein Jahr vor Mozarts Fertigstellung seiner sechs Haydn gewidmeten Streichquartette, zu denen Wolfgang Hildesheimer in seiner Mozart-Biographie folgendes zu bemerken hat:

"Mozart probably respected no other contemporary and certainly no figure of the past as much as he did Haydn; and it is remarkable that the human relationship, however close it may have been, had its source in artistic admiration. Thus, Mozart made him what was tantamount to an offering of six of his important quartets..." (Hildesheimer: 296; Hildesheimer drückt hier aus, dass Mozart wahrscheinlich keinen anderen Zeitgenossen und sicherlich keine Figur der Vergangenheit mehr respektierte als Haydn, und es sei bemerkenswert, dass trotz der sicher sehr engen menschlichen Beziehung ihre Freundschaft ihren Ursprung in (Mozarts) künstlerischer Bewunderung hatte und dass Mozart Haydn dann mit seinen sechs wichtigen Streichquartetten nahezu eine Opfergabe bereitete).

Sehen wir uns doch hierzu Kopien der Originaldokumente der Titelseite der Erstausgabe dieser Werke und von Mozarts Widmung in italienischer Sprache an:

 


Titelseite der Streichquartette, 1785 bei Artaria erschienen
und Joseph Haydn gewidmet



 


Widmungsschreiben Haydns an Mozart,
in italienischer Sprache.

Diese Widmung wird hier im Englischen zitiert und aus dem italienischen Originaltext ins Deutsche übersetzt:

"To my dear friend Haydn:

A father, having resolved to send his sons into the great world, finds it advisable to entrust them to the protection and guidance of a highly celebrated man, the more so since this man, by a stroke of luck, is his best friend. - Here, then, celebrated man and my dearest friend, are my six sons. - Truly, they are the fruit of a long and laborious effort, but the hope, strengthened by several of my friends, that this effort would, at least in some small measure, be rewarded, encourages and comforts me that one day, these children may be a source of consolation to me. - You yourself, dearest friend, during your last sojourn in this capital, expressed to me your satisfaction with these works. - This, your approval, encourages me more than anything else, and thus I entrust them to your care, and hope that they are not wholly unworthy of your favour. - Do but receive them kindly, and be their father, guide and friend! From this moment I cede to you all my rights over them: I pray you to be indulgent to their mistakes, which a father's partial eye may have overlooked, and despite this, to cloak them in the mantle of your generosity which they value so highly. From the bottom of my heart I am, dearest friend,

your most sincere friend,
W.A. Mozart

Vienna, 1ast September, 1785" (Anderson: 891 - 892)

Hier die Übersetzung aus dem italienischen Original:

"An meinen teuren Freund Haydn.

Ein Vater, der sich entschlossen hat, seine Söhne in die grosse, weite Welt hinauszuschicken, hielt es für seine Pflicht, sie dem Schutz und der Leitung eines zu dieser Zeit sehr gefeierten Mannes anzuvertrauen, der zudem noch sein bester Freund war.

In der gleichen Weise sende ich Ihnen meine sechs Söhne, vielgefeierter und sehr teurer Freund. Sie sind wirklich die Frucht langen, harten Studiums; aber die Hoffnung, die viele meiner Freunde mir gaben, dass diese Mühe in irgendeiner Weise belohnt werden wird, ermutigt mich und legt mir den Gedanken nahe, dass diese Kinder sich eines Tages als eine Quelle des Trostes für mich erweisen werden.

Während Ihres letzten Aufenthalts in dieser Hauptstadt drückten Sie, mein sehr teurer Freund, selbst Ihr Wohlgefallen an diesen Kompositionen aus. Ihre gute Meinung ermutigt mich, Sie Ihnen darzubieten und leitet mich in der Hoffnung, dass Sie sie Ihrer Gunst nicht ganz unwürdig erachten werden. Nehmen Sie sie also freundlich auf und Seien Sie ihnen ein Vater, Führer und Freund! Von diesem Augenblick an trete ich alle meine Rechte daran an Sie ab. Ich bitte Sie aber, mit jenen Fehlern, die dem parteiischen Blick des Vaters entgangen sein mögen, Geduld zu haben und, ihnen zum Trotz, Ihre grosszügige Freundschaft mit jenem fortzusetzen, der sie so hoch schätzt. In der Zwischenzeit bin ich von ganzem Herzen, teuerster Freund, Ihr aufrichtigster Freund

W.A. Mozart.

Wien, den 1. September 1785."

Mozart erwähnt in dieser Widmung Haydns letzten Besuch in Wien. Dieser fand im Winter 1785 statt, als auch Leopold Mozart seinen Sohn Wolfgang besuchte. Sein erster Brief an seine Tochter Maria Anna ("Nannerl") vom 16. Februar weiss davon Folgendes zu berichten:

"We arrived at the Schulerstrasse No. 846, first floor, at one o'clock on Friday. That your brother has very fine quarters with all the necessary furniture you may gather from the fact that his rent is 460 gulden. On the same evening we drove to his first subscription concert, at which a great many members of the aristocracy were present. Each person pays a souverain d'or or three ducates for these Lenten concerts. Your brother is giving them at the Mehlgrube and only pays half a souverain d'or each time for the hall. The concert was magnificent and the orchestra played spendidly. In addition to the symphonies a female singer of the Italian theatre sang two arias. Then we had a new and very fine concerto by Wolfgang, which the copyist was still copying when we arrived, and the rondo of which your brother did not even have time to play through, as he had to supervise the copying. You can well imagine that I met many acquaintances there who all came up to speak to me. I was also introduced to several other people.

On Saturday evening Herr Joseph Haydn and the two Barons Tinti came to see us and the new quartets were performed, or rather, the three new ones which Wolfgang has added to the other three which we have already. The new ones are somewhat easier, but at the same time excellent compositions. Haydn said to me: 'Before God and as an honest man I tell you that your son is the greatest composer known to me either in person or by name. He has taste and, what is more, the most profound knowledge of composition.

. . .

Your brother, your sister-in-law, Marchand and I kiss you millions of times and I am your faithful father

Mozart" (Anderson: 885 - 887; Wir haben hier nur den Anfang des Briefes, den sich auf die Streichquartette beziehenden Absatz und den Schluss des Briefes wiedergegeben. Leopold Mozart berichtet darin, dass er (und Heinrich Marchand) am Freitag zuvor um ein Uhr bei seinem Sohn eingetroffen waren, der in der Schulerstrasse Nr. 846, im ersten Stock, eine sehr gut eingerichtete Wohnung (für 460 Gulden) mietete, dass sie am gleichen Abend noch ein Subskriptionskonzert hoerten, bei dem viele Mitglieder des Adels anwesend waren und der Eintrittspreis pro Person ein Souverain d'or oder drei Dukaten betrug, dass das Konzert grossartig war und das Orchester vorzüglich spielte. Im Zusatz zu den Symphonien sang eine Sängerin der italienischen Oper zwei Arien, und Mozarts neues Klavierkonzert wurde uraufgeführt (das d-Moll-Konzert, KV466), zu dem bei seiner Ankunft der Kopist noch die letzten Teile auskopieren musste, sodass Mozart keine Probezeit dazu hatte. Leopold Mozart traf viele Bekannte, wurde aber auch mit vielen neuen Leuten bekanntgemacht. Der hier relevante Absatz zu den neuen Streichquartetten gibt wieder, dass am Samstagabend Joseph Haydn und die zwei Barone Tinti (zwei von Mozarts Logenbrüdern) zu Besuch kamen, und dass die neuen Streichquartette bzw. die drei neueren der sechs neuen Streichquartette gespielt wurden. Die neuen, so Leopold Mozart, seien zwar etwas leichter als die ersten drei dieser Serie, aber auch ausgezeichnete Kompositionen. Haydn sagte dann zu ihm: "Vor Gott und als ein ehrlicher Mann sage ich Ihnen dass Ihr Sohn der grösste Komponist ist, den ich entweder persönlich oder dem Namen nach kenne. Er hat Geschmack und, was wichtiger ist, die gründlichsten Kenntnisse in der Komposition." Der Brief schließt mit Grüssen an Maria Anna von ihrem Bruder, Konstanze, Marchand und Leopold Mozart, die dieser aufträgt und selbst schickt.

Hören Sie sich doch hier eine Midi-Datei
des ersten Satzes von Mozarts Streichquartett, KV 454
aus dieser Werkreihe an!

Noch im selben Jahr soll Haydn laut Rosemarie Hughes Biographie ein weiteres Streichquartett, op. 42, vorgelegt haben (Hughes: 222). Dazu kommentiert Geiringer wie folgt:

"The next quartet, Op. 42 (Hob III:43) is a sort of foreign body within the whole set of string quartets. The very terse construction of its four movements induced Pohl and Sandberger to classify this composition as one of Haydn's earlier works. Some details, however, such as the dramatic development of the first and last movements, and the use of contrapuntal devices in the finale prove Op. 42 to be the product of a later period. Additional evidence is provided by the autograph in the West-German Library, Marbug, which bears the date 1785. The work must certainly be considered a composition of Haydn's maturity which--for unknown reasons--was conceived in a particularly unassuming manner" (Geiringer:310; Geiringer führt hier aus, dass op. 42 eine Art Fremdkörper im Streichquartettwerk Haydns darstellt und dass der sehr gebundene Aufbau seiner vier Sätze Pohl und Sandberger dazu bewogen hatte anzunehmen, dass diese Komposition eines von Haydns früheren Werken sei. Jedoch klassifizieren einige Einzelheiten, wie z.B. die dramatische Entwicklung des ersten und letzten Satzes, und der Gebrauch kontrapunktischer Mittel im Finale, dieses Werk als ein Produkt aus Haydns reiferen Jahren. Einen zusätzlichen Beweis liefere die Originalschrift in der Westdeutschen Bücherei in Marburg, die das Jahr 1785 trage. Somit müsse dieses Werk als ein Werk Haydns aus seinen reiferen Jahren angesehen werden, das, aus welchen Gründen auch immer, in einer sehr bescheidenen Weise angelegt war.)

Hier ist es vielleicht hilfreich, kurz auf die weitere Entwicklung des Streichquartetts während der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Frankreich einzugehen. Dort zeigten sich zwei Entwicklungen ab, nämlich die des quator brillant, in dem die erste Violine beinahe als Soloinstrument wirkte, die von der zweiten Violine, der Bratsche und dem Violoncello begleitet wurden. Zu dieser Gattung lieferten die Komponisten Cambini, Dalayrac, Davaux, Fodor, Gossec und Viotti ihre Beitrge. Die zweite Gattung, die sich in Frankreich als Streichquartett herausbildete, war die des quator concertant, das in Paris in den 1770er Jahren entstanden ist und sowohl von Cambini als auch Boccherini mit vielen Beiträgen versorgt wurde. Grove zufolge soll Boccherini hierin die Weiterentwicklung des Streichquartetts durch Haydn ganz ausser Acht gelassen haben, obwohl auch die von Haydn in Paris erschienenen Streichquartette als quotor concertant bezeichnet wurden.

In Bezug auf Mozarts weitere Streichquartette berichtet Greither, dass nach den Streichquartetten von 1785 noch vier weitere folgten, und zwar KV499 als Einzelwerk im August 1786, und die drei König Friedrich Wilhelm II. von Preußen gewidmeten Streichquartette, nämlich KV575 in D im Jahr 1789, und KV589 und KV590 im Jahr 1790.

Zu KV499 bemerkt Hans Renner in Reclams Kammermusikführer:

"Die Nähe des "Figaro" ist zu spüren in der federnden Eleganz dieser phantasievollen Spielmsuik. Mozart gelant hier so etwas wie ein Divertimento im Quartettstil" (Renner: 268).

Mozarts Berlinbesuch des Jahres 1789 war wohl der Anlass der Widmung seiner drei letzten Streichquartette an den cellospielenden König Friedrich Wilhelm II. von Preußen und boten wohl auch dadurch Gelegenheit, das Cello hier und dort solistisch hervortreten zu lassen. Greither bemerkt zu diesen Werken, dass sie "die bei den Hadn gewidmeten Quartetten stark verwendete thematische Arbeit" wieder zurückgetreten sei und "alles fließt freier, improvisierter (oder man merkt ihm die Arbeit weniger an" (Greither: 118 - 119), während Grove dazu bemerkt, dass Mozart in diesen Werken auch Einflüsse des quator brillant und des quator concertant zu kombinieren wusste (Grove: 280).

Diese letzten Streichquartette Mozarts, die dem Cellofreund König Friedrich Wilhelm II. von Preußen gewidmet waren, bieten einen ausgezeichneten Anknüpfungspunkt an Haydns Streichquartette op. 50, die 1787 demselben Herrscher gewidmet waren und in Wien bei Artaria erschienen, jedoch bereits von 1784 bis 1787 entstanden sind. Laut Renner sollen sich diese formal nicht wesentlich von den "russischen" Quartetten op. 33 unterscheiden, aber nunmehr eine geschmeidigere Sprache sprechen (Renner: 206). Auch Geiringer führt dazu aus, dass "the thematic elaboration employed in Op. 33 is continued" (Geiringer: 310; demnach sei die in op. 33 angewendete thematische Ausarbeitung in op. 50 fortgesetzt worden.) Geiringer führt weiter aus, dass:

"He was eager to concentrate his compositions not only by using thematic elaboration, but also by letting a whole movement unfold from a single germ" (Geiringer: 311; Haydn soll demnach beflissen gewesen sein, seine Kompositionen nicht nur durch die thematische Ausarbeitung konzentrierter werden zu lassen, sondern auch dadurch, dass sich ein ganzer Satz aus einer einzigen Keimzelle entwickelte.)

Auch die 1789 verlegten Streichquartette, op. 54 und 55 weisen laut Geiringer ebenfalls wieder diese Tendenz auf (Geiringer: 312). Geiringer nimmt an, dass diese und die folgenden sechs Streichquartette, op. 64 aus dem Jahr 1790 Johann Tost gewidmet waren und führt aus, dass die Kühnheit und Vielfalt, die in diesen Werken zum Ausdruck komme, Haydn auf der Höhe seiner Quartettproduktion zeige.

Nach seiner Ankunft in Wien im November 1792 hatte Beethoven vielleicht auch Gelegenheit, Haydns Schaffen an seiner nächsten Quartettreihe, op. 71 und 74, die er 1793 in Angriff nahm und Graf Apponyi widmete, zu beobachten. Zu diesen bemerkt Renner:

"Die je drei Quartette der Werkgruppen 71 und 74 sind dem ungarischen Grafen Apponyi gewidmet. Sie entstanden bis 1793, also zur Zeit von Haydns Londoner Reisen. Die meisen Londoner Sinfonien lagen damals bereits vor. Sie hatten Haydn Triumphe ohnegleichen eingebracht. Das steigerte sein Selbstbewußtsein. Man spürt es an diesen Quartetten. Ein Zug ins Grandseigneurhafte ist ihnen zu eigen. Die Themen haben bisweilen sinfonischen Zuschnitt, das Satzbild wirkt zumeist einfach. Al-fresco-Wirkungen ergeben sich" (Renner: 221).

Ob nun diese Quartette alle erst 1793 oder, wie Renner meint, "bis 1793" entstanden sind, bemerkt auch Geiringer dazu, dass Haydn sie zu einer Zeit schrieb, in der er sehr an "orchestral composition" interessiert gewesen sei und "they accordingly display a certain symphonic character" (Geiringer: 345). Bemerkentswert an diesen Werken seien die Einführungen zum jeweils ersten Satz, eine musikalische Gewohnheit, der Haydn auch in seinen Symphonien frönte.

Für uns ist hier wohl von Bedeutung, dass die Vollendung dieser Werke genau in Beethovens erstes Wiener Jahr fallen, in dem sich sein Lehrer Haydn zwischen seiner ersten und zweiten Londonreise befand, wohl sehr mit seinen Vorbereitungen auf seine zweite Reise beschäftigt war und daher wohl auch nicht als strenger, konsequenter Kontrapunktlehrer Beethovens auftrat, eine Tatsache, die wir ja mit all ihren Begleiterscheinungen wie der heimlichen Korrekturhilfe durch den Komponisten Schenk, bereits aus unseren Biographischen Seiten kennen. Auch ist hier abschließend festzustellen, dass Haydn durch seine zweite Englandreise im Jahr 1794 seinen Lehrerposten bei Beethoven an Albrechtsberger abtrat und sich zumindest vorübergehend aus Beethovens Gesichtskreis entfernte.

Dieser Einschnitt bietet uns wohl Gelegenheit, unsere kleine Vorgeschichte der Entwicklung des Streichquartetts bis zu Beethoven abzuschließen und uns der Entstehungsgeschichte der ersten Gruppe von Beethovens Streichquartetten, op. 18, zuzuwenden.

 

Quellen:

Chronologisch-thematisches Verzeichnis sämtlicher Tonwerke Wolfgang Amade Mozarts. Von Dr. Ludwig Ritter von Köchel. Dritte Auflage bearbeitet von Alfred Einstein. Ann Arbor, Michigan, 1947: Verlag von J.W. Edwards.

Geiringer, Karl, Haydn. A Creative Life in Music. 2nd Ed. London, 1964: George Allen & Unwin Ltd.

Greither, Aloys, Mozart (Ro-Ro-Ro Monographien). Reinbek bei Hamburg, 1952: Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH.

Hildesheimer, Wolfgang, Mozart. Translated from the German by Marion Faber. New York, 1991: The Noonday Press.

HUFNER, Martin. Ludwig van Beethoven. Streichquartette op. 18.  Huflaikhan Die Welt der Gegenwartskulturen, 1997.  {Zuletzt aktualisiert: 20.08.99], {Zitiert:  15. September 2000].S. 1 - 4.  Erhältlich aus dem Internet: "http://www.nmz.de/huflaikhan/musik/beeth18.htm".

Hughes, Rosemary. Haydn. The Master Musicians Series. London, 1974: J.M. Dent & Sons Ltd.

DIE OFFIZIELLE WEBSITE DER ÖSTERREICH-WERBUNG: BERÜHMTE PERSONEN: MUSIC MASTERS - JOSEPH HAYDN. Joseph Haydn - Der Erfinder des Streichquartetts. [Wissenschaftliche Leitung: Mag. Zsigmund Kokits.[Zitiert: 15. September 2000] Erhältlich aus dem Internet: "http://www.austria-tourism.at/index.html.de" und http://austria-tousism.at/personen/haydn/11hay.html".

Reclams Kammermusikführer von Hans Renner. Vierte Auflage. Stuttgart, 1959 und 1962: Philipp Reclam Jun.

The Letters of Mozart and His Family. Chronologically arranged, translated and edited with an Introduction, Notes and Indexes by Emily Anderson. Volume II. New York, 1966: St. Martin's Press.

The New Grove Dictionary of Music and Musicians. Edited by Stanley Sadie. Vol. 18. London, 1980: Macmillan Publishers.

"Zur Geschichte des Streichquartetts". Sendung des Bayerischen Rundfunks am 23. September 2000, um 15 Uhr. (Inhalt freundlicherweise von Helmut Walther, Nürnberg, übermittelt).



ZUR ENTSTEHUNGSGESCHICHTE VON BEETHOVENS
ERSTEN STREICHQUARTETTEN, OP. 18