Nietzsche und Beethoven
Menschliches, Allzu Menschliches*








Beethoven um 1803



Friedrich Nietzsche

"...es ist das schrecklichste Gegenmittel gegen ungewöhnliche Menschen, sie dergestalt tief in sich hinein zu treiben, dass ihr Wiederherauskommen jedesmal ein vulkanischer Ausbruch wird. Doch giebt es immer wieder einen Halbgott, der es erträgt, unter so schrecklichen Bedingungen zu leben, siegreich zu leben; und wenn ihr seine einsamen Gesänge hören wollt, so hört Beethoven’s Musik" (Friedrich Nietzsche, 3. Unzeitgemäße Betrachtung).

 

 

Noch einmal kehre ich zu diesem Nietzsche-Zitat zurück und frage mich, wieviel ungewöhnliche Menschen wie Beethoven und Nietzsche miteinander gemein haben müssen in ihrem In-Sich-Selbst-Hineingetrieben-Sein, dass der Nachfolgende in seine Aussage zum "Ungewöhnlichen" auch diesen Vorangegangenen so fundiert mit einbeziehen kann! 

Diese Seite ist daher einer Erkundung dieser menschlichen Gemeinsamkeiten zwischen Beethoven und Nietzsche gewidmet.

Aus den Kindheits- und Jungenderlebnissen der beiden lässt sich nicht ohne Weiteres auf solche Gemeinsamkeiten schliessen, da diese Zeit für Beethoven und Nietzsche jeweils sehr anders verläuft, und das nicht zuletzt wohl auch aufgrund der verschiedenen Begabungen und der verschiedenen Elternhäuser und sozialen Einbettungen.  So steht Beethovens einzige wirkliche Begabung schon ziemlich früh fest:  die musikalische, die denn auch soweit wie möglich von seiner Familie gefördert wird.  Soweit wie möglich versucht hier der Tatsache Rechnung zu tragen, dass Beethovens Vater wohl im Rahmen seiner eigenen geistigen Möglichkeiten das für seinen Sohn zu tun versuchte, wozu er in der Lage war, nämlich, ihm ein strenger Lehrer in den Anfangsgründen der Musik und des Klavierspiels zu sein.  Den weiteren Verlauf der Ausbildung des Knaben Ludwig können wir ja in unseren Biographischen Seiten verfolgen.  Wie wir aus diesen Seiten auch wissen, standen Beethoven in seinem Elternhaus der strenge, jedoch auch zunehmend haltlose Vater und seine ernste, sanfte Mutter als Erzieher und Rückhalt zur Verfügung, während ihm besonders nach dem Tod seiner Mutter seine Freundschaft mit der Familie von Breuning den Übergang von der  Jugend ins Erwachsenenleben erleichtern half.

Wie verhielt sich dies bei Nietzsche?  Aus der Zeittafel auf Helmut Walthers Nietzsche-Seite können wir entnehmen, dass Nietzsche in eine thüringisch-sächsische Familie protestantischer Pastoren hineingeboren wurde, dass aber sein Vater starb, als Friedrich erst fünf Jahre alt war.  (Hier dürfen wir  uns vielleicht die Frage stellen, welche Auswirkungen dieses Ereignis auf Nietzsche gehabt haben mag, wenn wir bedenken, dass seine religiöse Familie ihn während der Krankheit seines Vaters voll am täglichen Gebet für dessen baldige Genesung teilnehmen liess, dieses Beten aber letztendlich vergeblich blieb...).  Von diesem Zeitpunkt an dominierte in seiner Familie der weibliche Einfluss über den männlichen, und der einzige männliche Nachkomme wurde von allen Seiten betulich in seine Gymnasialerziehung hineingeleitet, die ihn erst mit seinem Eintritt in das Gymnasium in Pforta aus dem unmittelbaren weiblichen Naumburger Bannkreis auslieh.  Auch war die Palette von Nietzsches Begabungen reichhaltiger als die Beethovens:  der Gymnasiast musizierte, komponierte, und dichtete, jedoch ewartete seine Familie wohl von ihm, dass er, wie sein Vater und sein Grossvater mütterlicherseits, die Pastorenlaufbahn ergreifen würde.  Auch hier lässt sich die weitere Entwicklung Nietzsches am besten auf Helmut Walthers Nietzsche-Seite weiterverfolgen.

Der nächste Ansatz, der sich uns in unserer Betrachtung bietet, ist wohl die Zeit der jeweiligen ernsthaften Berufsausbildung beider junger Männer, nämlich die Beethovens zum Komponisten während seiner Wiener Studienjahre und Nietzsches anfängliches Theologie- und Philologiestudium in Bonn, aus dem bald ein ausschliessliches Philologiestudium wurde, besonders während seiner Leipziger Studienzeit.  Hierbei ist wohl festzustellen, dass Beethovens Leben nur das der Musik sein konnte, sei es als Hofmusiker in Bonn, sei es als erstaunlicher Klaviervirtuose, der seine neuen Wiener Gönner fesselte, sei des als angehender Berufskomponist, während Nietzsches zukünftige Berufswelt und wohl auch er selbst anfänglich von sich erwartete, die Philologenlaufbahn zu ergreifen, obwohl sich bereits durch Nietzsches Kennenlernen zweier für ihn bedeutenden Geister eine Wendung anzubahnen schien, zum Einen durch sein Bekanntwerden mit den Werken Schopenhauers, zum Anderen aber auch durch sein Kennenlernen Richard Wagners in Leipzig, mit dem er ja anfangs die Begeisterung für Schopenhauers Philosophie teilte.

Im gesellschaftlichen Umgang bahnte sich bei beiden auch bereits in dieser Zeit die Grundtendenz der unabhängigen Einzelgänger an, in die sie sich in zunehmendem Masse in ihren jeweiligen Lebensläufen entwickeln würden:  Freundschaften bestanden bereits seit ihrer Schulzeit, wurden auch durch neue Freundschaften in ihrer jeweils neuen Umgebung angereichert, würden aber wohl niemals den Inhalt ihres Lebens ausmachen, sondern allenfalls den Rahmen, und das im jeweiligen Grade, in dem diese Freundschaften ihrem zu diesem Zeitpunkt wohl mehr im Inneren ruhenden Zielgerichtetheit förderlich sein konnten, wobei man aber vielleicht beiden nicht unterstellen kann und darf, dass sie sich dessen in irgendeiner überdurchschnittlich egoistischen Weise bewusst gewesen sein mochten.

Zu diesem Zeitpunkt in ihrem jeweiligen Lebenslauf ist nur von Beethoven in bezug auf seinen Umgang mit Frauen zu berichten, jedoch weniger in bezug auf Nietzsche.  Beethoven hatte ja bereits einige Jugendschwärmereien hinter sich, als er in Wien ankam, wie uns Wegeler in seinen Biographischen Notizen berichtet,

"Beethovens und Stephan von Breunings erste Liebe war Fräulein Jeanette d'Honrath aus Köln, die oft einige Wochen in der Breuningschen Familie in Bonn verbrachte. Sie war eine schöne, lebhafte Blondine von gefälliger Bildung und freundlicher Gesinnung, welche viel Freude an der Musik und eine angenehme Stimme hatte. so neckte sie unseren Freund mehrmals durch den Vortrag eines damals bekannten Liedes, 'Mich heute noch von dir zu trennen, und dies nicht verhindern können, ist zu emfpindlich für mein Herz!' ... Darauf folgte die liebevollste Zuneigung zu einem schönen und artigen Fräulen v. W[esterholt] ... Diese Liebschaften fielen jedoch in das Übergangsalter und hinterließen ebensowenig tiefe Eindrücke, als sie deren bei den Schönen erweckt hatten" (Stephan Ley, Beethoven: 43-44), 

 

 



Frl. v. Westerholt

 

und in das erste Wiener Jahr seiner neuen Laufbahn als Berufskomponist fällt Ergebnissen der Beethovenforschung zufolge auch seine Bekanntschaft mit der aus Bonn nach Wien übersiedelten Sängerin Madgalena Willmann, die seinen aller Wahrscheinlichkeit nach 1795 an sie gerichteten, wohl übereilten Heiratsantrag ablehnte, und zwar, wie später dazu berichtet wird, weil er "hässlich und halbverrückt" gewesen sei.

Was verbirgt sich wohl hinter der Einschätzung "halbverrückt"?  Ist es möglich, dass dies auf seine bereits damals auftretende ungewöhnliche Wesensart hinweist?  Es ist uns nicht bekannt, was Beethoven zu dieser Zeit bewogen haben mochte, Magdalena Willmann die Ehe anzutragen, und so sollten wir in dieser Hinsicht auf die Diskussion reiner Vermutungen verzichten.

Was wir jedoch aus dieser Zeit von Wegeler erfahren ist, dass Beethoven oft verliebt war und an vielen seiner hübscheren Altersgenossinnen interessiert war.  Jedoch sollten wir diesen amourösen Gehversuchen des jungen Komponisten Beethoven nicht allzugrosse Bedeutung beimessen.

Welchem Entwicklungsbereich wir jedoch Bedeutung beimessen sollten, ist der seiner künstlerichen Ambitionen als junger Komponist, zeigte er sich doch bereits in diesen Jahren von 1795 bis zu seiner Krise der Jahre 1801/1802 als von sich selbst überzeugt, schroff und ablehnend in offizieller Gessellschaft und nur im Umgang mit ihm Vertrauteren zugänglicher bis zum Punkt des "Aufgeknöpft-Seins".  Zu diesem Verhalten passen auch sein gelegentlich zur Schau gestellter Widerwille, vor seinen Gönnern und deren Gesellschaft als Pianist aufzutreten, sein Widerwille, regelmässig an allen Mahlzeiten im Haus seines Gönners, Fürst Lichnowsky, teilzunehmen, und seine zur Schau gestellte Empfindlichkeit, wenn man ihn nicht als denjenigen einschätzte, als den er sich selbst sah: als jungen Komponisten, der seinen eigenen Weg eingeschlagen hatte, und nicht als bunt-schillernden Singvogel im für ihn bereiteten goldenen Käfig. (Zu Beethovens Stolz in dieser Zeit lässt Stephan Ley in seiner Biographie den Haydn-Biographen v. Griesinger zu Wort kommen:

 


Beethoven um 1800

 

"Als wir beide noch jung, ich noch Attache, Beethoven nur berühmt als Klavierspieler, als Komponist aber noch wenig gekannt war, trafen wir uns beim Fürsten Lobkowitz.   Ein Herr, der sich für einen großen Kunstkenner hielt, knüpfte ein Gespräch mit Beethoven an, das sich um Lebensstellung und Neigung der Dichter drehte.

'Ich wünschte', sagte Beethoven mit liebenswrdiger Offenheit, 'ich wäre alles Handelns und Feilschens mit den Verlegern überhoben und fände einen, der sich entschlösse, mir für meine Lebenszeit eine bestimmte Jahresrente zuzusichern, wofür er das Recht haben sollte, alles, was ich komponiere, verlegen zu dürfen, und ich würde im Komponieren nicht träge sein.   Ich glaube, Goethe hat es so mit Cotta, und, wenn ich nicht irre, hat es Händels Londoner Verleger so mit ihm gehalten.' 'Mein lieber junger Mann,' sagte zurechtweisend jener Herr, 'Sie müssen sich nicht beklagen, denn Sie sind weder ein Goethe noch ein Händel, und es ist auch nicht anzunehmen, daß Sie es werden, denn solche Geister werden nicht wieder geboren.'

Beethoven biß die Zähne zusammen, warf dem Herrn einen geringschätzigen Blick zu und sprach kein Wort mehr mit ihm, äußerte sich auch ziemlich heftig über die Unverschämtheit jenes Mannes.

Fürst Lobkowitz suchte Beethoven friedlichere Gesinnungen einzuflößen und sprach freundlich: 'Lieber Beethoven, der Herr hat Sie ja nicht beleidigen wollen, es ist ja hergebracht, daß die meisten Menschen nicht glauben wollen, daß einer ihrer jüngeren Zeitgenossen so viel in der Kunst leisten werde wie die Alten oder Verstorbenen, welche ihren Ruf bereits haben.'

'Leider wahr, Durchlaucht', versetzte Beethoven, 'aber mit Menschen, welche an mich nicht glauben wollen, weil ich noch nicht den allgemeinen Ruf habe, mag und kann ich nicht umgehen.'" (Ley:  83 - 84).

Im Vergleich dazu bahnen sich vielleicht auch bei Nietzsche äquivalente Entwicklungen an.

 

 


Nietzsche in Leipzig, 1866
(Quelle: Nietzsche-Website
Helmut Walther)

 

Bereits vor Abschluss seines Philologiestudiums wird er als einmalige Begabung erkannt und erhält bereits als 24-jähriger durch seinen Lehrer Ritschl den Antrag der Baseler Professur.  Seine akademische Fachrichtung will ihn als einen er ihren vereinnahmen und bietet ihm dazu auch einen glänzend erscheinenden goldenen Käfig.  Beinahe parallel zum Fortschritt der Aufnahme seiner Baseler Pflichten entwickelt sich sein dortiger Umgang mit Wagner in Tribschen.

Äusserlich sehen wir in beiden Fällen zwei junge Männer am jeweiligen Beginn ihrer voraussichtlich glänzenden, ihnen von ihrer Umwelt vorgesteckten Laufbahn.  In beiden Fällen spielen sowohl auftretende Krankheitssymptome als auch die jeweilige Weiterentwicklung der bereits sich anbahnenden Eigenheit der jungen Männer eine Rolle in der weiteren Entfaltung Beethovens und Nietzsches.  Bei Beethoven handelt es sich, wie wir aus unseren Biographischen Seiten wissen, um den Beginn seiner Schwerhörigkeit und seiner allgemeinen gesundheitlichen Beschwerden, und dazu als mittelbare und unmittelbare Auswirkung sein künstleriches Weiterstreben aus seiner sogenannten ersten Schaffensphase in seine zweite, sogenannte heroische Schaffensphase ab etwa 1802/1803.   [Hierzu ein Zitat aus Beethovens Brief vom November 1801 an Wegeler:

"Meine körperliche Kraft -- sie nimmt seit einiger Zeit mehr als jemals zu, und so meine Geisteskräfte; jeden Tag gelange ich mehr zu dem Ziel, was ich fühle, aber nicht beschreiben kann. . . . " (Schmidt, Beethoven=Briefe: 24).]

Bei Nietzsche handelt es sich um sein wachsendes Unbehagen in bezug auf seine Baseler Professur angesichts seiner parallel dazu verlaufenden, wachsenden Freundschaft mit Wagner und dessen Einfluss auf ihn, der auch zur Entstehung seines ersten Werks, Die Geburt der Tragödie aus der Musik, beiträgt, mit dessen Veröffentlichung er seinen Ruf als Philologe und auch seine Laufbahn als solcher entscheidend untergrub, aber auch den Anfang seiner eigentlichen Rolle als bedeutender Denker des 19. Jahrunderts fand.  Begleitet wurden ja auch bereits diese Jahre von seinen gesundheitlichen Beschwerden, deren Heftigkeit im Lauf der Jahre zunehmen würde.

 




Giulietta Giuicciardi



Josephine v. Brunsvik-Deym

 

Während Beethovens weiterer Umgang mit Frauen in seinen Schaffensjahren von 1799 bis 1810 durch mehrere Begegnungen beeinflusst wurde, wie zum Beispiel seiner möglichen Enttäuschung über Josephine von Brunsviks Eheschliessung im Sommer 1799, seiner ebenfalls nicht erfolgreich verlaufenden Beziehung zu ihrer Cousine, Giulietta Giuicciardi, dem möglicherweise "lieben, zauberischen Mädchen" seines Briefs an Wegeler vom Herbst 1801, seiner heftigen Leidenschaft für Josephine v. Brunsvik-Deym als junger Witwe in den Jahren 1804/1805, seiner guten, aber auch mitunter heftigen Ausbrüchen ausgesetzten Freundschaft mit Gräfin Marie Erdödy in den Jahren 1807 - 1809,

 

 



Therese Malfatti am Klavier,
im Kreis ihrer Familie

 

und schliesslich seinem vermutlichen, sehr voreiligen Heiratsantrag an Therese v. Malfatti im Jahr 1810, zu dem er sich von Wegeler allem Anschein nach auch die Übersendung seines Taufscheins erbat,

"Wien, am 2. Mai 1810.


Guter alter Freund -- beinahe kann ich es denken, erwecken meine Zeilen Staunen bei Dir, -- und doch, obschon Du keine schriftliche Beweise hast, bist Du doch noch immer bei mir im lebhaftesten Andenken. ... -- Du wirst mir die freundschaftliche Bitte nicht abschlagen, wenn ich Dich ersuche, mir meinen Taufschein zu besorgen. -- Was immer für Unkosten dabei sind, da Steffen Breuning mit Dir in Verrechnung steht, so kannst Du Dich da gleich bezahlt machen, so wie ich hier gleich alles an Steffen ersetzen werde. . . . " (Schmidt, Beethoven=Briefe: 66),

was aber dann, wenn wir Stephan von Breunings Schreiben an Wegeler folgen (Thayer:  490), auf einmal nicht mehr so eilte, da die damit verbundenen Pläne wohl ins Wasser gefallen seien,

[Eine Vorahnung einer möglichen Ablehnung durch die Malfattis aus gesellschaftlichen Gründen schwingt bereits in Beethovens Zeilen an seinen Freund Ignaz von Gleichenstein mit, der ihn 1810 bei den Malfattis eingeführt hatte:

"Deine Nachricht stürzte mich aus den Regionen des höchsten Entzückens wieder tief herab. Wozu denn der Zusatz, Du wolltest mir es sagen lassen, wenn wieder Musik sei? Bin ich denn gar nichts als Dein Musikus oder der anderen? -- so ist es wenigstens auszulegen. Ich kann also nur wieder in meinem eigenen Busen einen Anlehnungspunkt suchen, von außen gibt es also gar keinen für mich. -- Nein, nichts als Wunden hat die Freundschaft und ihr ähnliche Gefühle für mich. -- So sei es denn, für dich, armer B., gibt es kein Glück von außen, du mußt dir alles in dir selbst erschaffen, nur in der idealen Welt findest du Freunde. -- Ich bitte Dich, mich zu beruhigen, ob ich den gestrigen Tag verschuldet; oder wenn Du das nicht kannst, so sage mir die Wahrheit, ich höre sie ebensoferne als ich sie sage -- jetzt ist es noch Zeit, noch können mir Wahrheiten nützen. -- Leb wohl -- laß Deinen einzigen Freund Dorner nichts von alledem wissen", 

während die folgenden Zeilen an ihn wohl danach, sehr wahrscheinlich  sogar anlässlich des bangend doch noch durch Gleichenstein zu vermittelnden schriftlichen Heiratsantrags, an ihn gerichtet sind:

"Du lebst auf stiller ruhiger See oder schon im sichern Hafen -- des Freundes Not, der sich im Sturm befindet, fühlst Du nicht -- oder darfst Du nicht fühlen. -- Was wird man im Stern der Venus Urania von mir denken, wie wird man mich beurteilen, ohne mich zu sehen, -- mein Stolz ist so gebeugt, auch unaufgefordert würde ich mit Dir reisen dahin. -- Laß mich Dich sehen, morgen früh bei mir, ich erwarte Dich gegen 9 Uhr zum Frühstücken. -- Dorner kann auch ein andermal mit Dir kommen. -- Wenn Du nur aufrichtiger sein wolltest!  Du verhehlst mir gewiß etwas, Du willst mich schonen und erregst mir mehr Wehe in dieser Ungewißheit, als in der noch so fatalen Gewißheit. -- Leb' wohl, kannst Du nicht kommen, so laß mich es vorher wissen -- denk' und handle für mich -- Dem Papier läßt sich nichts weiter von dem, was in mir vorgeht, anvertrauen"   (Schmidt, Beethoven=Briefe: 53 - 54); Thayer führt aus, dass die Briefe Beethovens an Gleichenstein und an Therese Malfatti früher immer auf das Jahr 1808 datiert waren, von Riemann jedoch endgültig im Jahr 1810 angesiedelt wurden und somit mit Wegelers Bericht, 

"It seems that Beethoven, once i his life, entertained the idea of marriage, after having been in love many times.  . . .  Many persons as well as myself were impressed by the urgency with which in his letter of May 10 he besought me to secure his baptismal certificate for him.  . . .  I found the solution of the riddle in a letter written to me three months later by my brother-in-law St. v. Breuning.  In this he says: 'Beethoven tells me at least once a week that he intends to write to you; but I believe his marriage project has fallen through, and for this reason he no longer feels the lively desire to thank you for your trouble in getting him the baptismal certificate.' (Thayer: 490 'Es scheint, dass Beethoven einmal in seinem Leben ans Heiraten dachte, nachdem er so oft verliebt gewesen war . . . Viele, auch ich, waren von der Dringlichkeit, mit der mich in seinem Brief vom 10. Mai ersuchte, ihm seinen Taufschein zu besorgen, beeindruckt.  . . .  Ich fand die Lösung dieses Rätsels in einem Brief, den mein Schwager St. v. Breuning drei Monate später an mich geschrieben hatte.  Darin sagt er 'Beethoven sagt mir mindestens einmal die Woche, dass er beabsichtigt, Dir zu schreiben; aber ich glaube, seine Heiratspläne sind durchgefallen, und aus diesem Grund fühlt er vielleicht nicht mehr die lebhafte Dankbarkeit, Dir für Deine Mühe zu danken, dass Du ihm seinen Taufschein besorgt hast'),

und Beethovens Brief an ihn vom Mai 1810 verbunden wurden, woraus sich für uns ein logischer Zusammenhang ergibt],

erfahren wir aus der vergleichsweisen Lebensphase Nietzsches von einem ähnlich voreiligen Verhalten im Frühjahr 1876.

Wie die Leipziger Nietzsche-Website von virtusens.de in ihrem chronologischen Lebenslauf Nietzsches dazu berichtet, machte dieser im Frühjahr 1876 während eines Erholungsurlaubs am Genfer See

 

 



Mathilde Trampedach
(Quelle:
www.virtusens.de)

 

"...im Hause des Musikers H. .v. Senger die Bekanntschaft mit dessen Klavierschülerin, der Holländerin Mathilde Trampedach. Dieser macht er am 11. April 1876 nach wenigen gemeinsamen Stunden und einem längeren Spaziergang unvermittelt einen schriftlichen Heiratsantrag: 'Nehmen Sie allen Mut Ihres Herzens zusammen, um vor der Frage nicht zu erschrecken, die ich hiermit an Sie richte: Wollen Sie meine Frau werden? Ich liebe Sie und mir ist es, als ob Sie schon zu mir gehörten. Kein Wort über das Plötzliche meiner Neigung!' Gleichzeitig kündigt er ihr an, daß er in dem Moment, in dem sie den Brief ausgehändigt erhält, schon aus Genf abgereist sein wird. Die zweiundzwanzigjährige Mathilde erschrickt wohl zu Recht über dieses doppeldeutige Verhalten und lehnt den Antrag ab. Sie wird später die Frau H. von Sengers" (Nietzsche-Website von virtusens.de, eingesehen am 3. Februar 2001).

Hier zeigt sich eine gewisse Übereinstimmung zwischen Beethoven und Nietzsche in bezug auf ihre mittlere Lebensphase im respektiven Alter von 39 und 32 Jahren, in denen beide bereits einiges in bezug auf ihren Gesundheitszustand durchlitten hatten und in denen beide bereits auf ihren jeweiligen "Schaffensbahnen" unterwegs waren.  Die Frage, die wir uns hier stellen können ist wohl die, ob die jeweilige Voreiligkeit bewusst oder unbewusst ins Gesamtverhalten der beiden mit eingebaut war, um das zu verhindern, was sie eigentlich nicht wollten.

Beiden widerfuhr dann mindestens eine weitere wesentliche Begegnung mit dem anderen Geschlecht, die sich jeweils tiefgehender auf Beethoven und Nietzsche auswirken sollte.  Bei Beethoven handelt es sich, wie wir aus unseren Biographischen Seiten wissen, um seine Begegnung vom Sommer 1812 mit seiner sogenannten Unsterblichen Geliebten, die ihren Niederschlag in seinem Brief an sie vom Juli 1812 aus Teplitz fand, seine Trauerphase um sie und seinen Eintritt in die Endphase seiner zweiten Schaffensperiode und den Übergang in seine letzte Schaffensperiode.  Da die Identität dieser Frau immer noch nicht eindeutig geklärt zu sein scheint und sich die ernsteren Vorschläge wohl auf Josephine v. Brunsvik (etwa durch Kaznelson, Harry Goldschmidt, Marie-Elisabeth Tellenbach und Joyce Maier vertreten),  Antonie Brentano (durch Maynard Solomon vertreten) und letztlich Gräfin Erdödy (durch Gail S. Altman vertreten) beziehen, ist eine sinnvolle, kurze Diskussion des Themas der Identität dieser Unbekannten hier nicht möglich.

 




Josephine v. Brunsvik-Deym



Antonie Brentano



Gräfin Marie
v. Erdödy
 



Lesen Sie Beethovens Brief vom
Juli 1812 an seine
Unsterbliche Geliebte

 

Es ist uns jedoch durchaus möglich, aus der Betrachtung der Grundtatsache, dass Beethoven diese Beziehung, aus welchen Gründen auch immer, nicht aufrecht erhalten konnte, den Schluss zu ziehen, dass es sich hier wohl um seine bedeutendste und letzte wesentliche Beziehung zu einer Frau handelte.

Im Vergleich dazu bietet uns der Verlauf von Nietzsches Bekanntschaft mit Lou von Salome im Jahr 1882 eine Fülle von Material, das Sie am besten in Helmut Walthers eingehender Betrachtung auf seiner Website einsehen können.  Dazu wünsche ich Ihnen eine interessante Leseerfahrung und bitte Sie, sich zur Rückkehr auf diese Seite des "Back"-Buttons Ihres Browsers zu bedienen.  Hier also der Link:

 

 


Lou von Salome
(Quelle:
Nietzsche-Website,
Helmut Walther)
 


Nietzsches Begegnung mit Lou von Salome

 

Was "gewannen" Beethoven und Nietzsche aus ihren jeweiligen Erfahrungen? Dazu lässt sich wohl als hervorstehende Gemeinsamkeit entdecken, dass beide nach diesen Erlebnissen noch weiter in sich hineingetrieben wurden, dass sich der Verlauf ihrer jeweiligen Krankheiten beschleunigte (so nahm Beethovens Gehörverlust nach seinem Sommeraufenthalt in Teplitz im Lauf der nächsten Jahre rapide zu, bis er im Jahr 1818 gänzlich auf die Konversationshefte im Umgang mit seinen Besuchern angewiesen war), und dass sich dies wiederum auf ihr Schaffen auswirkte.  Als Beispiele dazu mögen die Vertiefung der Ausdruckskraft in Beethovens Spätwerken auf der einen Seite und die Vertiefung von Nietzsches sprachlicher Ausdrucksgewalt in seinem vom Winter 1883 an entstandenen Zarathustra gelten.

Im bemerkenswerten Gegensatz zu Beethovens Verzicht von 1812/13 und von Nietzsches Erfahrung mit Lou von Salome stehen wohl ihre sehr späten Äusserungen zum Thema "Frauen". Noch auf seinem Sterbebett bereute Beethoven in Gegenwart seines Kollegen und Freundes Hummel und dessen Gattin, dass er selbst nie heiratete, während von Nietzsche berichtet wird, dass er, nach seinen "Wahnsinnszetteln" an Cosima Wagner vom Januar 1889 während der ersten Zeit seiner klinischen Behandlung in Jena geäussert haben soll, dass ihn "seine Frau Cosima" dorthin gebracht hatte. Dies mag darauf hinweisen, dass Cosima Wagner ihm als ideale Künstler- und Gelehrtengattin vorschwebte und er dieses Ideal in seinem Leben nicht sein Eigen machen konnte, während wir aus Beethovens Brief an seine Unsterbliche Geliebte sehr wohl herauslesen können, dass er die Fähigkeiten dieser Partnerin sehr gut einzuschätzen wusste und diese und seine Beziehung zu ihr vielleicht nicht ganz mit seiner zeitweiligen Sehnsucht nach Häuslichkeit und geregeltem Familienleben übereinstimmten.

In diesem Zusammenhang kommen uns wohl die von Nietzsche gebrauchten Begriffe des Halbgotts (als den er, unter anderem, in dem hier zweimal eingeblendeten Zitat, auch Beethoven, bezeichnete) und des Übermenschen sehr fehl am Platz vor, so dass ich mir wohl nicht ganz zu Unrecht für diesen Abschnitt von Nietzsche dessen Buchtitel, Menschliches, Allzu Menschliches* auslieh.  Oder können Sie sich vorstellen, dass  ein Halbgott oder ein Übermensch an den  Auswirkungen seiner eigenen Handlungen so leiden würde, dass er wieder in sich selbst hineingetrieben und zu weiterem, vertieftem Schaffen geführt würde?  


Nach diesem Vergleich von Beethovens und Nietzsches "Glück" mit Frauen sind wir sicher bereit, den Gegenpol dieses dynamischen Themas zu erkunden, Nietzsches Verhältnis zur Musik, und zwar mittels des folgenden Links, den Sie entweder links auf der Menüleiste oder nachfolgend anklicken können:

 

Nietzsche und die Musik